Ein bisschen mehr noch vom Meer wollte ich genießen. Fuhr zu diesem Zweck in Richtung des – absolut eindrucksvollen, keine Frage – Naturparks „Cabo de Gata“ (Katzen-Kap), wo ich mir einen Stellplatz ausgeguckt hatte. Er war nett, gepflegt, zwar noch etwas vom Meer entfernt aber in guter Erreichbarkeit und scheinbar ruhig gelegen. Nebenan nur ein weiterer Camperpark und eine Art Restaurant, so wie es schien.
Kein Betreiber und somit auch kein Geldeintreiber
zu sehen, ein weiterer Campwilliger rief
die an der Rezeption angegebene Telefonnummer an und man bat die wartenden
Gäste, sich einfach einen der reichlich vorhandenen freien Plätze auszusuchen,
Strom anzuschließen und sich frei zu fühlen. Es käme dann gegen Abend jemand
vorbei.
Ich richtete mich ein, packte aus – alles schien
wunderbar. Genoss eine Münzeinwurf-Dusche, sah mich etwas um und gedachte, mir
einen ruhigen Abend zu machen. Die Fahrerei
ist doch immer wieder etwas anstrengend und nach dem langen Vorabend bei
Franze mit Rotwein und langer Quasselrunde hatte ich Schlaf nötig.
Es war gegen 20:00 Uhr als der erste Schock
mich traf. Das „Restaurant“ nebenan entpuppte sich zumindest für diesen Abend als Disco. Erster Mai, der Folgemontag
in Spanien noch Feiertag, so fand wohl der „Tanz in den Mai“ hier am Sonntag-Abend in Form einer furios lärmenden
Party mit Live-Musikgruppe und Diskjockey
statt. Die Bässe wummerten, die jugendliche Menge kreischte und lärmte
über den Musiklärm immer ausgelassener werdend hinweg und auch, wenn ziemlich
viele der „ollen Disco-Rockamellen“ mit Titeln wie „Satisfaction“ oder „We don`t need noch education“ mir vertraut ins Ohr klangen und
zum Mitschunkeln ;-) einluden … es war insgesamt einfach extrem laut, mit
zunehmender Stunde auch dissonanter klingend und … meine lärm-, ja schon
geräusch!empfindlichen Nerven maximalzerrüttend. Tatsächlich machte mir in
dieser Nacht – ohne dabei ins Detail gehen zu wollen - ein psychischer Absturz nicht
nur das Einschlafen schwer.
Die Anfahrtsstraßen in unbekannter Gegend und
vermutlich jetzt schon geschlossene alternative unbekannte Plätze hinderten mich am sofortigen Aufbruch.
Ich lag es aus. Mit Ohropax in den Ohren
und Maximalgerädertsein am Folgetag.
Auch wenn davon auszugehen war, dass nicht
alle Abende mit Disco zu rechnen wäre; hier war für mich kein Halten und ich
brach nach einem schnellen Frühstück auf. Immerhin war die Nacht kostenlos denn
immer noch hatte sich niemand von den Betreibern sehen lassen. Weise
Voraussicht? Oder hatten sie mitgefeiert?
Ich machte mich auf den Weg zum eigentlichen Cabo de Gata-Naturschutzbereich, guckte mir dort eine der Ortschaften aus, die einen strandnahen Parkplatz besaßen und legte mich nicht für die nächste Nacht fest.
Der Weg dorthin führte durch endlose Weiten
an Plastiktunneln, unter denen das Gemüse und Obst für Europa wächst. Die Flächen sind riesig, die Plastiktunnels
ebenfalls, was man erst dann bewusst wahrnimmt, wenn man etwas näher dran vorbeifahrend, auf den Dächern arbeitende
Männer an den Überdachungen rumwerkeln sieht. Sie wirken klein wie Ameisen.
Zwischen all den Plantagentunneln, die soweit das Auge
reicht ein riesiges weißes Meer um die Autobahnen in die Landschaft malen, sind
immer wieder die Verarbeitungs-, und
Versand-Gewerbehallen bzw. Firmen mit Aufschriften zu sehen. Ebenfalls riesig. Einige
davon tragen den Zusatz „Bio“.
Die Landschaft insgesamt ist ansonsten schlicht
Ödnis im absoluten und ziemlich unangenehm-staubig-heißen Nichts. Irgendwann,
als die Bebauungsflächen langsam der Landschaft des Naturparks weichen, fahre
ich durch ebenfalls aus Planen errichtete „Behausungen“. Sie sehen den
Folinetunneln für’s Gemüse recht
ähnlich. Nur viel winziger und niedriger. Es sind enge, flache, dunkle,
aneinandergereihte Planenhöhlen mit vermutlich nicht mehr als ein paar
Schlafplätzen in der endlosen Weite einer
Plastikwüste.
Hier und da sind an der Straße – wo sollten
sie sonst hin – telefonierende junge bis mittelalte Männer zu sehen. Fast alle vermutlich aus
Zentralafrika stammend der Hautfarbe
nach.Einige auch eher aus dem arabischen Raum. Sie sehen nicht wesentlich anders
aus als die Menschen mit Fluchthintergrund, die ich aus München kenne.
Ärmlicher vielleicht und müder im Ausdruck. Ich fühle mich sehr bedrückt. Wieviel Zufall, Glück,
Pech doch mitspielt wenn es darum geht, wo wer im Leben landet oder strandet.
Einerseits
schätze ich mich einmal mehr
glücklich, zu den Gesegneten zu zählen,
die es durch den Zufall der Geburt in den Sahnetopf des Weltgeschehens
verschlagen hat. Anderseits fühle ich mich beschämt, hier quasi einen vergleichsweise
obszönen Wohlstand spazierenzufahren. Schon
für Andalusien insgesamt wirken die deutschen, niederländischen und
französischen Wohnmobile, die hier durch die Landschaft rollen, weit über Bevölkerungsdurchschnitt
wohlhabend (wobei durchaus auch viele
Spanier darunter sind und es auch hier nicht wenige SUVs und andere „dicke
Karren“ sowie Zeichen von Wohlstand gibt. Aber eben nur punktuell für kleine
Minderheiten. Die Mehrheit und das ganze Ambiente wirkt ärmlich und relativ
trist. Mir macht das kein gutes Gefühl. Extremer ist es in den Randlagen und rund um die „Sklavenbetriebe“.
Irgendwie ist mir die Lust auf Naturpark
vergangen. Trotzdem knipse ich eine der Mühlen am Wegesrand und fahre weiter
zum kleinen Küstenort „San José“.
Klar, Sonne, Strand und Meer sind immer wieder nett. Die Küste hier kann
aber in nichts mit der Costa Brava im Norden konkurrieren. Ich beschließe schon
bald, wieder ins Landesinnere zu fahren.
Fahre aber eine der Ausfahrten, die zu zwei
Unterhaltungsbetrieben mit Filmkulissenbesichtigungsmöglichkeit – so eine Art Hollywood-Parks
– raus und parke auf einem dortigen Staubparkplatz im heißen Wüstensand. Schaue
mich etwas um. Gehe einen Pfad ein wenig in Richtung Ödnis hinein. Sehr genau
darauf achtend, wo ich hintrete.
Denn: auf der Autobahn etwas vorher habe
ich – ich bin untröstlich L
aber es ließ sich nicht mehr vermeiden – wohl eine Schlange überfahren. Es waren
noch einige weitere von anderen Autos überfahrene Schlange zu sehen. Selten zumindest scheinen sie dort nicht zu sein.
Leider habe ich dann aber doch keine zu
Gesicht oder vor die Kamera bekommen.
Ich entschied mich gegen einen Besuch im
Filmkulissenpark. Angeblich sind die wirklich guten und echten Kulissen der
Sergio Leone-Filme zwar noch vorhanden aber schwer zu finden. Danach, darauf
viel Energie zu verwenden, war mir aktuell nicht. So fuhr ich weiter
Es gibt auf spanischen Autobahnen nicht
allzu eng getaktete Ausfahrten, so dass
ich gleich die nächste hinausfuhr, auf ein am Hang sichtbares Örtchen mit
Kirche und Burg zufuhr und nach Überquerung einer einspurigen Brücke im tausend
Einwohner kleinen Dort Gérgal eine gute
Haltemöglichkeit fand. Parkplatz wäre zuviel geschrieben. In nichttouristischen
Orten sind das mit Schlaglöchern durchsetzte krumme und schiefe Staubplätze,
auf denen Autos stehen und meist noch viel Unrat rumliegt.
Wo ich nun einmal hier war, ging ich durchs
Dorf, in dem mich einige wenige Männer,
die den Mittag in der einzigen „Bar“, einer Art Ausschank-Kiosk mit Plastikstühlen davor, verbrachten, interessiert
musterten. Hierhin verschlägt es Touristen vermutlich eher selten. Grüßend ging
ich vorbei, durch enge Gassen mit aneinanderklebenden, irgendwie unbewohnt
wirkenden winzigen alten Häusern. Hinauf zur zentral sichtbaren Steinkirche,
die leider geschlossen war. Beim Zurückschlendern öffnet sich der urplötzlich
schwarz gewordene Himmel und schüttet eine Ladung Wasser auf die trockene
Landschaft.
So sehr ich dieser Landschaft diese mehr als dringend benötigten
Regenfälle gönne (der Regen war hier über
mehrere Winter nahezu ausgeblieben, so dass sich die Menschen über den
außergewöhnlich späten Segen durchaus freuen) … im Moment kommt es ungelegen. Einen
Schirm hätte ich im Mobil – aber nun nicht zur Hand.
Während ich mich mit dem Rücken an eine Hauswand unter ein leicht vorstehendes Balkondach quetsche,
um nicht völlig zu durchnässen, öffnet sich gegenüber eine Tür.
Eine kleine alte Frau mit Kittelschürze tritt
heraus bzw. hält sie einen geöffneten Schirm aus der Tür und ruft mir damit
etwas zu. Leider verstehe ich nichts, kapiere aber, dass das Schirmangebot mir
gilt. Flitze also über das Sträßchen zu ihr hin und nehme den Schutzschirm dankbar an. Halte ihn
selber fest, bleibe damit aber vor der
Tür bei ihr stehen.
Ein spanischer Wortschwall ergießt sich über mich, von dem ich aber
leider ungefähr Null Wörter verstehe. Wie in diesen Momenten üblich, wenn man
Sprache besonders nötig gebrauchen würde, fallen mir sogar die einfachsten spanischen
Vokabeln und Redewendungen nicht mehr ein. Ich stümpere einen Dankessatz
zusammen, lache die alte Frau strahlend an und verkünde, leider kein oder nur
ganz wenig Spanisch zu sprechen. Üblicherweise
ergänze ich diesen Satz mit der Behauptung, jedoch immerhin ein wenig zu
verstehen. Diesmal unterlasse ich dies tunlichst, da ich nicht ein Wort dessen
verstehe, was die Frau mir unbeeindruckt in rasendem Sprechtempo erzählen möchte.
Lediglich der Gestik entnehme
ich, dass ich den Schirm behalten und mitnehmen soll weil er ohnehin
kaputt ist. Untermalt mit dem Hinweis auf
mehrere gebrochene Speichen.
Es ist mir unangenehm, das Angebot
anzunehmen. Also bleibe ich stehen. Habe mein Hirn soweit sortiert, dass ich
ihr nun erzählen kann, ich würde ja gerne Spanisch lernen aber leider sei ich
dafür zu alt. Sie versteht und lacht.
In diesem Moment tritt aus einem weiteren
Haus eine etwas jüngere - so ca. um die
40 – Frau und schlendert beschirmt wie zufällig
auf uns zu. Ich erahne sofort, dass die jüngere nach dem Rechten sehen
will und ob nicht womöglich irgendeine dubiose Fremde die gutmütige alte
Nachbarin über’s Ohr hauen oder sonstwas mit ihr anstellen will.
Die alte Dame jedoch erzählt ihr, dass sie
mir den Schirm geben wollte, ich ihn aber nicht nehme und außerdem gerne
Spanisch lernen möchte, aber denke, ich wäre dafür zu
alt. Sie lacht dabei wieder. Diesmal verstehe ich sie und bin stolz auf mich ;)
Die junge wendet sich in einfachem Englisch
an mich und fragt, woher ich komme. Das ist Lektion 1 und ich antworte auf Spanisch. Dass ich als
Touristin hier bin, mir die Kirche ansehen wollte aber diese leider zu ist. Nochmal wiederhole
ich – was einmal gut ankam, möchte ich auf keinen Fall so leicht aufgeben –
dass ich zu alt bin, um noch gut
Spanisch zu lernen.
Der Himmel klart wieder auf. Ich bedanke
mich nochmals sehr für den Schirm, den Schutz vor Regen und vor allem für diesen
wunderbaren Spanisch-Unterricht.
Auch
dieser Satz kommt bestens an und auch ihn nehme ich sofort in den persönlichen
Fundus der „best of Anfänger-Sätze“ auf.
Dieser Ratsch unter drei Weibsleuten im Regen
vor der Tür eines kleinen andalusischen Dörfchens, der war das bisher netteste,
was mir an Unterhaltung bisher passiert ist unterwegs. So zufälllig und nebenbei, so unspektakulär und herzerwärmend.
Inzwischen bin ich schon zwei Stationen weiter. Bisschen Kultur auch mal mitnehmen. Davon gibt's dann aber einen anderen Beitrag. Nach einem kleinen im Wohnmobil ausgesessenen oder besser "ausgeschriebenen" Gewitterchen geht`s jetzt rein in die Stadt!
3 Kommentare:
liebe Lizzy
Deine zwiespältigen Gefühle kann ich SEHR gut verstehen. Schön das Schirmerlebnis mit Sprachlektion ;-)
Uiuiui, im TV sehe ich gerade Regenkatastrophe im NO Spaniens. Hoffentlich fährst du da nicht versehentlich rein.
Vielen Dank für deine ausführlichen Reportagen, welche so spannend zu lesen sind.
Herzliche Grüsse
Trudy
Hallo Trudy,
wo ich mich rumtreibe, waren Gewitter und Regen harmlos und nur kurz. Aber tatsächlich doch in relativer Nähe zur Unwetterfront.
Sehr untypisch für diese Jahreszeit hier und erinnert mich an den Kroatien-Urlaub 2019, wo wir im Mai einige Tage lang bei Kälte im Zentrum der europäischen Unwetterlage hockten und alle versicherten, sowas käme um diese Jahreszeit NIE vor!
Vielleicht sollte ich mich für meine Urlaubsplanung in Trockenzonen bezahlen lassen 😁 Andereseits: wenn ich früher Marathonläufe am Jahresanfang (damit Kühle garantiert ist) plante, wurden diese zuverlässig zu Hitzeläufen mit Rekordtemperatur für die Jahreszeit.
Liebe Lizzy,
wie schön, dass du so frei wählen kannst ob Discocamping oder abgelegene Dörfer. Dein Pauderründchen klingt nach einer herzerwärmenden Erfahrung! Schön. :D
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