03 Mai 2022

Unendlich weiße Plastikwüste nahe Cabo de Gata, wüste Disco zum Tanz in den Mai, Filmwüste und ein Plauderründchen unter Weibsleuten

 Ein bisschen mehr noch vom Meer wollte ich genießen. Fuhr zu diesem Zweck in Richtung  des – absolut eindrucksvollen, keine Frage – Naturparks „Cabo de Gata“ (Katzen-Kap), wo ich mir einen Stellplatz ausgeguckt hatte. Er war nett, gepflegt, zwar noch etwas vom Meer  entfernt aber in guter Erreichbarkeit und scheinbar ruhig gelegen. Nebenan nur ein weiterer Camperpark und eine Art Restaurant, so wie  es schien.

Kein Betreiber und somit auch kein Geldeintreiber zu sehen, ein weiterer  Campwilliger rief die an der Rezeption angegebene Telefonnummer an und man bat die wartenden Gäste, sich einfach einen der reichlich vorhandenen freien Plätze auszusuchen, Strom anzuschließen und sich frei zu fühlen. Es käme dann gegen Abend jemand vorbei.

Ich richtete mich ein, packte aus – alles schien wunderbar. Genoss eine Münzeinwurf-Dusche, sah mich etwas um und gedachte, mir einen ruhigen Abend zu machen. Die Fahrerei  ist doch immer wieder etwas anstrengend und nach dem langen Vorabend bei Franze mit Rotwein und langer Quasselrunde hatte ich Schlaf nötig.

Es war gegen 20:00 Uhr als der erste Schock mich traf. Das „Restaurant“ nebenan entpuppte sich zumindest  für diesen Abend als Disco. Erster Mai, der Folgemontag in Spanien noch Feiertag, so fand wohl der „Tanz in den Mai“  hier am Sonntag-Abend in Form einer furios lärmenden Party mit Live-Musikgruppe und Diskjockey  statt. Die Bässe wummerten, die jugendliche Menge kreischte und lärmte über den Musiklärm immer ausgelassener werdend hinweg und auch, wenn ziemlich viele der „ollen Disco-Rockamellen“ mit Titeln wie „Satisfaction“ oder „We  don`t need noch  education“ mir vertraut ins Ohr klangen und zum Mitschunkeln ;-) einluden … es war insgesamt einfach extrem laut, mit zunehmender Stunde auch dissonanter klingend und … meine lärm-, ja schon geräusch!empfindlichen Nerven maximalzerrüttend. Tatsächlich machte mir in dieser Nacht – ohne dabei ins Detail gehen zu wollen - ein psychischer Absturz nicht nur das Einschlafen schwer.

Die Anfahrtsstraßen in unbekannter Gegend und vermutlich jetzt schon geschlossene alternative unbekannte  Plätze hinderten mich am sofortigen Aufbruch. Ich lag es aus. Mit Ohropax  in den Ohren und Maximalgerädertsein am Folgetag.

Auch wenn davon auszugehen war, dass nicht alle Abende mit Disco zu rechnen wäre; hier war für mich kein Halten und ich brach nach einem schnellen Frühstück auf. Immerhin war die Nacht kostenlos denn immer noch hatte sich niemand von den Betreibern sehen lassen. Weise Voraussicht? Oder hatten sie mitgefeiert?

Ich machte mich auf den Weg zum eigentlichen Cabo de Gata-Naturschutzbereich, guckte mir dort eine der Ortschaften aus, die einen strandnahen Parkplatz besaßen und legte mich  nicht für die nächste Nacht  fest.


Der Weg dorthin führte durch endlose Weiten an Plastiktunneln, unter denen das Gemüse und Obst für Europa wächst. Die  Flächen sind riesig, die Plastiktunnels ebenfalls, was man erst dann bewusst wahrnimmt, wenn man etwas näher dran  vorbeifahrend, auf den Dächern arbeitende Männer an den Überdachungen rumwerkeln sieht. Sie wirken  klein wie Ameisen.

Zwischen all  den Plantagentunneln, die soweit das Auge reicht ein riesiges weißes Meer um die Autobahnen in die Landschaft malen, sind immer wieder die  Verarbeitungs-, und Versand-Gewerbehallen bzw. Firmen mit Aufschriften zu sehen. Ebenfalls riesig. Einige davon tragen den Zusatz „Bio“.

Die Landschaft insgesamt ist ansonsten schlicht Ödnis im absoluten und ziemlich unangenehm-staubig-heißen Nichts. Irgendwann, als die Bebauungsflächen langsam der Landschaft des Naturparks weichen, fahre ich durch ebenfalls aus Planen errichtete „Behausungen“. Sie sehen den Folinetunneln  für’s Gemüse recht ähnlich. Nur viel winziger und niedriger. Es sind enge, flache, dunkle, aneinandergereihte Planenhöhlen mit vermutlich nicht mehr als ein paar Schlafplätzen in der endlosen Weite  einer Plastikwüste.

Hier und da sind an der Straße – wo sollten sie sonst hin – telefonierende junge bis mittelalte  Männer zu sehen. Fast alle vermutlich aus Zentralafrika stammend  der Hautfarbe nach.Einige auch eher aus dem arabischen Raum. Sie sehen nicht wesentlich anders aus als die Menschen mit Fluchthintergrund, die ich aus München kenne. Ärmlicher vielleicht und müder im Ausdruck. Ich fühle  mich sehr bedrückt. Wieviel Zufall, Glück, Pech doch mitspielt wenn es darum geht, wo wer im Leben landet oder strandet.

Einerseits  schätze ich mich einmal  mehr glücklich, zu den Gesegneten zu  zählen, die es durch den Zufall der Geburt in den Sahnetopf des Weltgeschehens verschlagen hat. Anderseits fühle ich mich beschämt, hier quasi einen vergleichsweise obszönen  Wohlstand spazierenzufahren. Schon für Andalusien insgesamt wirken die deutschen, niederländischen und französischen Wohnmobile, die hier durch die Landschaft rollen, weit über Bevölkerungsdurchschnitt wohlhabend (wobei durchaus  auch viele Spanier darunter sind und es auch hier nicht wenige SUVs und andere „dicke Karren“ sowie Zeichen von Wohlstand gibt. Aber eben nur punktuell für kleine Minderheiten. Die Mehrheit und das ganze Ambiente wirkt ärmlich und relativ trist. Mir macht das kein gutes Gefühl. Extremer ist es  in den Randlagen und rund um die „Sklavenbetriebe“.



Irgendwie ist mir die Lust auf Naturpark vergangen. Trotzdem knipse ich eine der Mühlen am Wegesrand und fahre weiter zum kleinen Küstenort „San José“. 

Klar, Sonne, Strand und Meer  sind immer wieder nett. Die Küste hier kann aber in nichts mit der Costa Brava im Norden konkurrieren. Ich beschließe schon bald, wieder ins Landesinnere zu fahren. 



Hier: einmal Strandspaziergang, bisschen die Beine ins Meer halten, Sonne  genießen und feststellen: diese touristisch motivierten Ferienorte am Meer mit Strandpromenaden voller Tinnef und Kitsch, Strandbars und Fischrestaurants etc. … die sind nirgendwo so wirklich meins.




Die Fahrt führt durch die Tabernas-Wüste, ein extrem eindrucksvoller Landstrich, der sich auf Fotos kaum angemessen einfangen lässt. Hier und da verlaufen ausgetrocknete Flussbetten in Canyons mit steilen Wänden .. es ist gigantisch. Wobei  die besten Ausblicke nur auftauchen, als ich unterwegs auf der Autobahn fahre. Parkplätze gibt es selten und um zu knipsen, müsste man die Gegend wohl erwandern. Was ich nicht tue



Fahre aber eine der Ausfahrten, die zu zwei Unterhaltungsbetrieben mit Filmkulissenbesichtigungsmöglichkeit – so eine Art Hollywood-Parks – raus und parke auf einem dortigen Staubparkplatz im heißen Wüstensand. Schaue mich etwas um. Gehe einen Pfad ein wenig in Richtung Ödnis hinein. Sehr genau darauf achtend, wo ich hintrete.

Denn: auf der Autobahn etwas vorher habe ich – ich bin untröstlich L aber es ließ sich nicht mehr vermeiden – wohl eine Schlange überfahren. Es waren noch einige weitere von anderen Autos überfahrene Schlange zu sehen. Selten  zumindest scheinen sie dort nicht zu sein. Leider  habe ich dann aber doch keine zu Gesicht oder vor die Kamera  bekommen.

Ich entschied mich gegen einen Besuch im Filmkulissenpark. Angeblich sind die wirklich guten und echten Kulissen der Sergio Leone-Filme zwar noch vorhanden aber schwer zu finden. Danach, darauf viel Energie zu verwenden, war mir aktuell nicht. So fuhr ich weiter

Um kurz darauf doch nochmals zu zweifeln: oder doch etwas hier verweilen und mich weiter umsehen? Spektakulär ist das ja schon! 


Es gibt auf spanischen Autobahnen nicht allzu  eng getaktete Ausfahrten, so dass ich gleich die nächste hinausfuhr, auf ein am Hang sichtbares Örtchen mit Kirche und Burg zufuhr und nach Überquerung einer einspurigen Brücke im tausend Einwohner  kleinen Dort Gérgal eine gute Haltemöglichkeit fand. Parkplatz wäre zuviel geschrieben. In nichttouristischen Orten sind das mit Schlaglöchern durchsetzte krumme und schiefe Staubplätze, auf denen Autos  stehen  und meist noch viel Unrat rumliegt.

Wo ich nun einmal hier war, ging ich durchs Dorf, in dem mich einige  wenige Männer, die den Mittag in der einzigen „Bar“, einer Art Ausschank-Kiosk  mit Plastikstühlen davor, verbrachten, interessiert musterten. Hierhin verschlägt es Touristen vermutlich eher selten. Grüßend ging ich vorbei, durch enge Gassen mit aneinanderklebenden, irgendwie unbewohnt wirkenden winzigen alten Häusern. Hinauf zur zentral sichtbaren Steinkirche, die leider geschlossen war. Beim Zurückschlendern öffnet sich der urplötzlich schwarz gewordene Himmel und schüttet eine Ladung Wasser auf die trockene Landschaft.

So sehr ich dieser Landschaft  diese mehr als dringend benötigten Regenfälle  gönne (der Regen war hier über mehrere Winter nahezu ausgeblieben, so dass sich die Menschen über den außergewöhnlich späten Segen durchaus freuen) … im Moment kommt es ungelegen. Einen Schirm hätte ich im Mobil – aber nun nicht zur Hand.

Während ich mich mit dem Rücken an eine Hauswand  unter ein leicht vorstehendes Balkondach quetsche, um nicht völlig zu durchnässen, öffnet sich gegenüber eine Tür.

Eine kleine alte Frau mit Kittelschürze tritt heraus bzw. hält sie einen geöffneten Schirm aus der Tür und ruft mir damit etwas zu. Leider verstehe ich nichts, kapiere aber, dass das Schirmangebot mir gilt. Flitze also über das Sträßchen zu ihr hin und  nehme den Schutzschirm dankbar an. Halte ihn selber fest, bleibe damit  aber vor der Tür bei ihr  stehen.

Ein spanischer Wortschwall  ergießt sich über mich, von dem ich aber leider ungefähr Null Wörter verstehe. Wie in diesen Momenten üblich, wenn man Sprache besonders nötig gebrauchen würde, fallen mir sogar die einfachsten spanischen Vokabeln und Redewendungen nicht mehr ein. Ich stümpere einen Dankessatz zusammen, lache die alte Frau strahlend an und verkünde, leider kein oder nur ganz wenig  Spanisch zu sprechen. Üblicherweise ergänze ich diesen Satz mit der Behauptung, jedoch immerhin ein wenig zu verstehen. Diesmal unterlasse ich dies tunlichst, da ich nicht ein Wort dessen verstehe, was die Frau mir unbeeindruckt in rasendem Sprechtempo erzählen möchte.

Lediglich der Gestik  entnehme  ich, dass ich den Schirm behalten und mitnehmen soll weil er ohnehin kaputt ist. Untermalt mit dem Hinweis auf  mehrere gebrochene Speichen.

Es ist mir unangenehm, das Angebot anzunehmen. Also bleibe ich stehen. Habe mein Hirn soweit sortiert, dass ich ihr nun erzählen kann, ich würde ja gerne Spanisch lernen aber leider sei ich dafür zu alt. Sie versteht und lacht.

In diesem Moment tritt aus einem weiteren Haus eine etwas jüngere -  so ca. um die 40 – Frau und schlendert beschirmt wie zufällig  auf uns zu. Ich erahne sofort, dass die jüngere nach dem Rechten sehen will und ob nicht womöglich irgendeine dubiose Fremde die gutmütige alte Nachbarin über’s Ohr hauen oder sonstwas mit ihr anstellen will.

Die alte Dame jedoch erzählt ihr, dass sie mir den Schirm geben wollte, ich ihn aber nicht nehme und außerdem gerne Spanisch lernen möchte, aber denke, ich wäre dafür  zu  alt. Sie  lacht dabei  wieder. Diesmal verstehe  ich sie und bin stolz auf mich ;)

Die junge wendet sich in einfachem Englisch an mich und fragt, woher ich komme. Das ist Lektion  1 und ich antworte auf Spanisch. Dass ich als Touristin hier bin, mir die Kirche ansehen wollte  aber diese leider zu ist. Nochmal wiederhole ich – was einmal gut ankam, möchte ich auf keinen Fall so leicht aufgeben – dass ich zu alt bin, um  noch gut Spanisch  zu  lernen.

Es folgt ein Geplänkel, wie es auf eine solche Behauptung in exakt dieser Form wohl unter den Frauen aus aller Welt nahezu wortgleich überall gefolgt wäre und immer folgen wird. Wie  alt denn eigentlich wer ist und dass das doch noch gar nicht so alt ist und  man doch noch gut und fit aussähe – was alle sich gegenseitig  bestätigen – und es überhaupt doch darauf gar nicht ankäme. Alle lachen, betreiben ein bisschen Fishing for  compliments und ich nehme mir vor, diesen Satz jetzt  häufiger anzubringen. Super Einleitung für ein kleines Geplänkel mit bekannten Vokabeln, das nebenbei noch viel Anerkennung und Verständlich beim Gegenüber weckt und vor allem den Mangel an Sprache sofort verzeiht.

Der Himmel klart wieder auf. Ich bedanke mich nochmals sehr für den Schirm, den Schutz vor Regen und vor allem für diesen wunderbaren Spanisch-Unterricht. 

Auch  dieser Satz kommt bestens an und auch ihn nehme ich sofort in den persönlichen Fundus der „best of Anfänger-Sätze“ auf.

Dieser Ratsch unter drei Weibsleuten im Regen vor der Tür eines kleinen andalusischen Dörfchens, der war das bisher netteste, was mir an Unterhaltung bisher passiert ist unterwegs. So zufälllig  und nebenbei, so unspektakulär und herzerwärmend.





Unterwegs noch ein schneller Halt - aber nur, um die hohen schneebedeckten Gipfel der Sierra Nevada festzuhalten.

Inzwischen bin ich schon zwei Stationen weiter. Bisschen Kultur auch mal mitnehmen. Davon gibt's  dann aber einen anderen Beitrag. Nach einem kleinen im Wohnmobil  ausgesessenen oder besser "ausgeschriebenen" Gewitterchen geht`s jetzt rein in die Stadt!


 

3 Kommentare:

Trudy hat gesagt…

liebe Lizzy
Deine zwiespältigen Gefühle kann ich SEHR gut verstehen. Schön das Schirmerlebnis mit Sprachlektion ;-)

Uiuiui, im TV sehe ich gerade Regenkatastrophe im NO Spaniens. Hoffentlich fährst du da nicht versehentlich rein.

Vielen Dank für deine ausführlichen Reportagen, welche so spannend zu lesen sind.
Herzliche Grüsse
Trudy

lizzy hat gesagt…

Hallo Trudy,
wo ich mich rumtreibe, waren Gewitter und Regen harmlos und nur kurz. Aber tatsächlich doch in relativer Nähe zur Unwetterfront.
Sehr untypisch für diese Jahreszeit hier und erinnert mich an den Kroatien-Urlaub 2019, wo wir im Mai einige Tage lang bei Kälte im Zentrum der europäischen Unwetterlage hockten und alle versicherten, sowas käme um diese Jahreszeit NIE vor!

Vielleicht sollte ich mich für meine Urlaubsplanung in Trockenzonen bezahlen lassen 😁 Andereseits: wenn ich früher Marathonläufe am Jahresanfang (damit Kühle garantiert ist) plante, wurden diese zuverlässig zu Hitzeläufen mit Rekordtemperatur für die Jahreszeit.

regenfrau hat gesagt…

Liebe Lizzy,
wie schön, dass du so frei wählen kannst ob Discocamping oder abgelegene Dörfer. Dein Pauderründchen klingt nach einer herzerwärmenden Erfahrung! Schön. :D