01 Dezember 2012

You can do what you want (YES, I CAN!) The oppertunity's on.


 Nikolauslauf München 2012


Gewurmt hat's mich: erstens, dass ich es das Jahr über nicht geschafft hatte, weiter abzunehmen sondern - immerhin - nur das 2011 auf  um die 74kg gedrückte Gewicht halbwegs - schwankend - halten konnte. Zweitens, dass ich meine 10km-Bestzeit aus 2006 nicht toppen konnte. War einmal bis auf 38 Sekunden rangekommen - bei mehreren anderen Versuchen meist über 1,5 Minuten drunter geblieben.

Also startete nach dem etwas *hüstel* suboptimal verlaufenen München-Marathon im Oktober der Angriff. Erstmal nur auf den Speck. 4 Kilo waren innerhalb dreier Wochen dahingeschmolzen - es kam mir ein wenig zu schnell vor und beim Versuch, das Erreichte  zu halten, pendelte es sich zwischen 70 und 71 kg ein.

Greifs Gewichts-Laufzeit-Rechner prognostizierte mir auf Basis der schnellsten 10er aus 2012 und dem dabei gehabten Gewicht ein Ergebnis von um die 52 Minuten. Das wäre Bestzeit. Wobei ich davon ausgehe, dass Greif wiederum von gleichtzeitig stattfindendemTraining ausgeht.

 Bei mir aber sah es so aus, dass ich nach dem Marathon eine Woche Totalpause einschob und in den Folgewochen nur wenige meist kurze Läufchen unternahm. Der Fokus lag auf der Wiedererlangung körperlichen Wohlbefindens - das noch einige Weilchen lang angeschlagen war - und der kompletten Befriedung aller Problemstellen an Vorfuß und Piriformis, Hüftmuskel und Oberschenkel. Was gelang.

Schon wenige Wochen später fühlte ich mich fit. Den Wochenumfang von im mittigen 30km-Bereich wie Wellnessgehobbel - was für ein eklatanter Unterschied zu den Anfangszeiten meiner Lauferei, in denen dieser Bereich fast das Maximum meiner Laufmöglichkeiten darstellte!

Geschwindigkeit allerdings - zumindest das, was gemeinhin als "Training" bezeichnet wird, fand lediglich in kleinen Ansätzen auf dem Laufband des Sportvereins statt, das ich in dieser Zeit dreimal in Mittagspausen aufsuchte. Von den darauf absolvierten je 6km stellte ich einige (4 oder 5?)  400m-Intervalle in 12km/h ein, nach denen ich jeweils fast tot vom Band torkelte.

Das war's an gemessenem Tempo. Hier und da ein Sprint, natürlich die Wahrnehmung, dass mit schmelzenden Fettpolstern auch die Joggingeinheiten fluffiger und womöglich auch flotter werden. Aber kein Zwang, kein Druck, keine nennenswerte Anstrengung. Ich wollte mich erholen. Einerseits.



 Andererseits meldete ich mich mit ersten Abspeckerfolgen zum 10km Nikolauslauf an. In der festen Absicht, dort meine Bestzeit doch noch im Jahr 2012 zu vernichten. Rein rechnerisch sollte es klappen. Das Körpergefühl seit Tagen so richtig spitze und wann eigentlich bin ich zuletzt ohne auch nur das allerkleinste Zipperlein zu einem Wettkampf gegangen? Muss lange her sein - aber heute war es mal wieder genau so: fit wie der sprichwörtliche Turnschuh bewahrte ich zudem ein recht ... kurioses ... Geschehnis aus  einer Yogastunde dieser Woche in meinem Kopf. Und das ging so:

(hier kann  übersprungen werden bis zum näxten Strich - gehört eigentlich nicht zur Laufgeschichte ;)
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Der Kopfstand gilt als die "Königsdisziplin" beim Yoga. Mein Ehrgeiz, ihn jemals zu schaffen, tendierte in all den Jahren, die ich in Yogakurse gehe, gegen Null. Beim Yoga habe ich keine "Wettkampf-" und "Erfolgsambitionen". Es ist für mich Ruhepol, Ausgleich, Zugewinn. Frei von Ehrgeiz und Wettbewerb. In den meisten Kursen, die ich bisher besucht habe, war er sowieso nichtmal ansatzweise Gegenstand der Übungen.

Seit einiger Zeit aber doch. Der jetzige Lehrer ist Kopfstand-Fan, hält uns zu Vorübungen an und fragt immer mal wieder, wer ihn denn versuchen möchte. Bisher habe ich immer völlig unbeteiligt und als ginge mich diese Frage nichts an die Vorübung des Ellebogenstandes praktiziert; die beiden halbherzigen Ansätze, es doch mal zu versuchen, endeten mit ungeschicktem in-mich-zusammen-Geplumpse und der innersten Überzeugung: ich will gar nicht! Als Kind oder Jugendliche konnte ich ihn zwar und habe von damals in Erinnerung, dass es ganz leicht war. Dreißig und mehr kopfstandlose Jahre später aber fühlt es sich anders an und ich habe keine Ahnung mehr, wie das damals so leichtgängig funktionierte. Der Ansatz fehlt komplett und das Gefühl, wie es aufzubauen ist.

 Im Kurs sind immer zwischen 3 und 6 TeilnehmerInnen, vergangenen Dienstag waren wir drei Schülerinnen und der Lehrer.  Von den beiden anderen konnte die eine ihn, die zweite schaffte ihn an diesem Abend erstmals. Was den Lehrer dazu animierte, mich zu fragen, ob ich nicht doch mal wieder .... Folgender Dialog (sinngemäß) folgte meiner Verneinung:

Yogalehrer: "Komm, ein Versuch. Ich stehe daneben und helfe und halte. Du kannst nicht umfallen"
Ich: "Schon - aber ich habe immer das Gefühl, dass mir dabei der Kopf abknickt. Irgendwie Angst, dass da   was kaputt geht oder so. Außerdem muss ich das nicht können, finde ich."
Yogalehrer: "Nein, musst du auch nicht. Aber du kannst es versuchen. Du hast einfach das falsche Bild im Kopf. Mit einem Bild von Angst und Verweigerung kann's nicht funktionieren. Das gibt der Kopf an den Körper weiter und dann geht's auch nicht."
Ich (in einer Mischung aus Fröhlichkeit, Spott und Sarkasmus - grienend): "Du meinst, ich muss mich als federleichtes Schwebewesen visualisieren, dass mühelos und im Gleichgewicht gen Decke schwebt ... oder so .."
Yogalehrer (seinerseits lachend): "Naja" *g* .."so in etwa - die Richtung stimmt jedenfalls."

Plötzlicher Lach- und Witzelstop. Sekundenlanger fragender Augenkontakt. Hätte ich nur noch zwei Sekunden gewartet und nix gesagt, wäre die Stunde wie gehabt und ohne meinen Versuch weitergegangen. Aber ich - jetzt ganz ohne Frotzelei - sage kurz und schlicht:

"Okay! Ich versuch's"

Bringe mich in Positur, in meinem Kopf bildet sich - von ganz alleine und ohne mein bewusstes Zutun - das Bild eines Stricks, wie ihn Zauberkünstler manchmal schwebend nach oben streben lassen. So wie dieser Strick schweben - das ist noch leicht - meine Beine in Hüfthöhe. Ich überwinde die Beugung, gehe in die Beinstreckung und stehe mit einem Mal - als wäre es nix - im Kopfstand.

Als ich realisiere, was ich da gerade tue, erschrecke ich mich und plumpse folgerichtig wie ein nasser Sack - zum Glück gehalten und gebremst von Lehrerhänden - wieder zu Boden.

Sage: "Moment. Nochmal. Bitte nicht helfen und nur halten, wenn ich umzufallen drohe."

Baue wieder die Figur mit Hilfe des Kopfbildes vom wie von Zauberhand schwebenden Strick auf - und stehe - diesmal einige Sekunden lang - wieder  gerade im Kopfstand. Kann dann geregelt wieder umdrehen, schaue - wieder in Kopf-nach-oben-Stellung am Boden hockend in drei erstaunte Augenpaare. Selber nicht minder erstaunt. Aber irgendwie auch doch wieder nicht. War ja ganz einfach eigentlich. Ich hänge keinen Versuch mehr dran - die Yogastunde geht weiter und ich weiß: ich kann ihn wieder, den Kopfstand.
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Diese Episode - und daher gehört sie hier irgendwie doch in den Laufbericht - führte dazu, dass ich mich nahezu sicher fühlte, die Bestzeit zu knacken. Ich brauchte einfach nur das richtige Bild im Kopf und ich bekam es hin ;-)

Sah mich - innerlich und völlig unberührt vom dazu nicht wirklich passenden BMI von immer noch über 27 *g* - als schlankes sportlich-dynamisches Wesen pfeilschnell und mit eleganten Laufbewegungen durch den Olympiapark fliegen.

Startschuss. Nach 5 Sekunden schon war ich über der Startlinie - prima!: Bei Kilometer 1 komme ich nach 5:15 Minuten an. Das läuft wie geschmiert, so hatte ich es vor. Merke aber auch: schwer! es ist schwer! Total schwer. Kann das Tempo ziemlich genau halten und laufe nach 25 Minuten und 41 Sekunden über die "erste-Runde-Halbzeit-Matte".

Denke: "Teufel - fühlt sich an als würde ich gleich tot umfallen!"

Das innere Bild verschwimmt hinter Hirnwabern, Lungenpfeifen, Beinschmerzen ... Ich halte kurz den Finger auf den Uhr-Fingersensor und bekomme eine Pulsfrequenz von 180 angezeigt. Erschrecke mich mörderisch. Denn: vor etwa einer Woche habe ich mal wieder einen Maximalpuls-Test versucht auf Privatstrecke. Als ich es schaffte, mich bis zur fast-Kotz- und Herzklabastergrenze hochzulaufen, zeigte die Uhr 178 an. Was ich daher für meinen Maximalpuls hielt.

Jetzt - auf HALBZEIT - des 10km-Wettkampfs lag ich zwei Schläge drüber. Und fühlte mich auch so. Dachte: "unhaltbar! ich kann nicht mehr!" Wusste aber: wenn doch, dann schaffe ich nicht nur die - inzwischen eigentlich ziemlich sichere - Bestzeit. Sondern sogar sub 52 Minuten. Das wäre Wahnsinn. Damit hatte ich in meinen kühnsten Visualisierungen nicht gerechnet.

Hier  - bei Kilometer 6 - höre ich, wie ein älterer Mann, der Ordner und Streckenposten ist, mir zuruft - JA! eindeutig MIR, dabei laufen hier wirklich noch viele andere. Er schaut mich direkt an als er sagt: "Das ist ein toller Rhythmus, den du da drauf hast! Toll! Sieht wirklich ganz toll aus!" Ich schaffe es, mein gekniffenes Kampfgesicht zu einem strahlenden Dankeslachen zu erhellen. Und stelle fest: so läuft sich das wieder leichter!

Versuche, das Lachen - wie künstlich und gequält auch immer - im Gesicht zu behalten und heize, heize, heize. Alles tut weh. Das Herz fühlt sich an, als würde es gleich aus dem Brustkorb purzeln. Ein kleiner Moment der Angst und Unsicherheit, den mir eine innere Teufelchen-Stimme kommentiert mit: "Scheiß drauf! Wenn schon beim Laufen sterben, dann wenigstens mit 'ner neuen Bestzeit!"

Zielfoto

Statistik:


Eigene gelaufene Zeit:  51:42   Pace: 5:10min/km   VDOT: 38.5 (neuer Rekord auch hier)

Platzierung gesamt: Platz 600 von 972
Platzierung Frauen gesamt: Platz 99 von 309
Platzierung W50: Platz 3 von 19     :-O

Du bist 10000m in 51:42 gelaufen. Dabei hattest Du ein Gewicht von 71.0kg, entsprechend einem BMI von 27.1. Das ergibt eine korrigierte Zeit von 41:38 bei einem Wettkampfgewicht von 55.1kg.  

Sieger: Johannes Hillebrand (M30) in 32:13
Siegerin: Thea Heim (W20) in 35:49
Siegerin W50: Gabriele Schneider in 44:45 



 Im Olympiabad, in dem ich anschließend ein paar Bahnen schwimme möchte, quittieren meine Muskeln dieses Ansinnen auf Bahn 2 mit einem Crescendo an Müskelchenkrämpfen durch alle Beinpartien. Es zuckt und krampft und sieht aus, als würden sich gleich eine Horde Aliens aus meinen Beinen schälen. Die Zehen schnicksen bei beiden Füßen klickend übereinander - ich könnte schreien vor Schmerzen. Keine Chance, noch bis zum Treppenausstieg oder einer der Leitern am Beckenrand zu kommen. Mit Armeskräften hieve ich mich aus dem Bad, sitze auf den Schwimmbadkacheln, beruhigend auf alle Muskeln einstreichelnd. Bis ich es schaffe aufzustehen und zur Dusche zu humpeln. Dort - unter dem Strahl heißen Wassers - ist der Spuk glücklicherweise flott wieder vorbei.

Später dann, auf dem Weg zur U-Bahn, fühlen sich Beine und Körper wieder federleicht an. Beschwingt und glücklich tanze ich zur Musik aus dem mp3-Player durch den dunklen Olympiapark. Hüpfe im Kreis, tanze, lache ... und bin doch mal froh, in einer Großstadt zu leben. Zwar gucken auch hier einige Menschen recht merkwürdig, wenn sie eine Frau gehobenen Alters, die sonst eigentlich relativ normal aussieht (würde ich jedenfalls so behaupten ..), hoppsend, springend und lachend zur U-Bahn tanzen sehen. Alkoholfrei und ohne Drogeneinfluss - naja, ein paar Endorphine vielleicht. Aber selbst produziert - alles ganz legal ;-)  Aber sie holen nicht gleich irgendwelche Männer mit weißen Jacken. So ein paar Irre und Durchgeknallte gehören in einer Großstadt schließlich dazu. Weiß doch jeder.

Das Singen habe ich mir noch verkniffen - bis aus dem Player Cat Stevens meinte:

You can do what you want.
The opportunity's on.
And if you find a new way

you can do it today.
You can make it all true.
And you can make it undo
you see.
Ah
it's easy.
Ah
you only need to know.

 if you want to sing out
sing out.
And if you want to be free
be free. 

Da musste ich dann doch ein bisschen mitplärren :o)  Ist das schön!

Und erstmals denke ich selber: ich könnte es packen, das Vorhaben: "Mit 50 unter 50"

Müsste - laut Greif - einfach nur nochmal 3 kg abspecken. Würde schon reichen so rein theoretisch. Oder alternativ ein bisschen trainieren. Oder aber vielleicht zur Abwechslung sogar mal beides?!