20 Oktober 2013

Unheimlich? Schön!

Bei Vollmond um den Walchensee



Wecker gestellt auf 2:30 Uhr und festgestellt: sogar zu solch nachtschlafener Zeit, in der normalerweise meine Tiefschlafphase  stattfindet, funktioniert der innere Weckmechanismus ohne Behelfstechnik. Um 2:15 Uhr blinzele ich wach werdend und einigermaßen ausgeschlafen die roten Zahlen auf dem Wecker an. 

Denke: "Mädel, du hast'n Rad ab!"  Jetzt wirklich anziehen und losfahren  - alles ist vorbereitet, der diesmal doch ein klitzekleines bisschen Besorgnis signalisierende und noch im Tiefschlaf befindliche beste Ehemann gab letztlich einverstanden natürlich das Auto frei (was soll er auch um diese Zeit damit ;) - oder nochmal umdrehen und weiterschlafen?

Bestimmt, so denke ich mir auch noch, wird mir total gruselig da draußen am einsamen See: 26 Kilometer lang die Umrundung und nur zwei winzige Ortschaften und einige wenige Einzelgehöfte und Häuser am Wegesrand. Viel Wald. Dunkel, gruselig, furchteinflößend ... so fühlt es sich plötzlich an, an die dunkle bewaldet-felsige Einsamkeit am Bergsee zu denken. Hier von zu Hause aus in warmem Bett und Großstadtrandzivilisation.

Nur weil ich mir sicher bin: "Wenn du es jetzt nicht tust, wirst du den Gedanken daran nicht aus dem Kopf bekommen. Und dich ärgern!"

Gefragt habe ich niemanden, ob er oder sie mitkommen möchte (sorry Monika - hatte dran gedacht. Aber war mir selber nicht sicher, ob es eine gute Idee ist und wollte auch die Möglichkeit behalten, doch selber zu kneifen ;) Ein bisschen war es auch der Wunsch herauszufinden, ob ich mich das alleine trauen werde.

Die Katzen, noch nicht auf Dämmerungsstreifzug,  gähnen mich irritiert an. Wackeln mit den Köpfen, trotten mir hinterher "Jetzt schon Futter?" Gähnen noch mehrmals. "Was is'n hier heute los? Ist doch mitten in der Nacht!"

Stadtdurchquerung um 3:00 Uhr - wer hat nur all die Taxis losgelassen. Die Straßen voller flitzender Taxen. Die Autobahn leer. Und irgendwann ein Teilstück gesperrt. Ochnöööö - gurke ich also auf Umfahrung entlang des Starnberger Sees (nee, hier will ich nicht - das ist der falsche!) durch Käffer, von denen ich vorher nie gehört habe. Weiter Richtung Kochel. Die Serpentinen hoch zum Kesselbergpass stockdunkel. Langsam schlängele ich mich vorbei an Wäldern und Felswänden ... als zwei Rehe mitten auf der Straße stehen. Gucken mich an - ich halte, sie springen in den Wald. Vorsichtigst weiter - schon wenige Kehren später: ein Fuchs - was für ein Prachtexemplar! guckt ebenfalls in den Lichtkegel des Autos. Springt dann mit elegantem Schwung über die Leitplanke ebenfalls in den Wald zurück.

4:30 Uhr. Der See im Mondlicht - berückend! Meine Klamotten am Körper (Fleeceshirt, Laufunterwäscheschicht und dünne Weste: viel zu dick! In München bei 8°C losgefahren, Kälte erwartet in Bergnähe,  zeigt das Auto-Außenthermometer hier 13°C an. Grillen, Zikaden oder was weiß ich, was das genau ist, zirpen durch die Nacht. Hä? Wie jetzt?  Bergsee auf 800 Höhenmetern oder doch Italien?

Der Walchensee überrascht  immer wieder. Jedesmal anders und anders als gedacht. Auto in Urfeld abgestellt, Kamera auf "Nachtaufnahmen" eingestellt und losgehoppelt in die Dunkelheit Richtung Walchensee-Ort.

So richtig dunkel ist das gar nicht. Drüben auf der gegenüberliegenden Seeseite strahlt Maria Einsiedel vor sich hin, der Mond leuchtet trotz Schleierbewölkung soviel die Funzel hergibt. Ich stelle fest: bisschen angefressen ist der Kerl auf rechter Seite doch schon. Vollmond war gestern. Egal - reicht auch so. Dummerweise steht er auf der falschen Seite. Nix mit "Mondlicht spiegelt sich silbern in leise plätschernden Wellen"-Aufnahmen. Mit sowas hatte ich natürlich felsenfest gerechnet. Na egal - bleibt die Rechnung eben offen für ein nächstes Mal.  


5 Kilometer später im nachtstillen abe reichlich erleuchteten Walchensee-Ort. Jetzt könnte das aber mal so richtig dunkel werden langsam.


Dochdoch, es ist auch dunkel irgendwie. Das Mondlicht aber so hell, dass Schatten sich deutlich abzeichnen und ich auf jedwede Blink- und Armbandbeleuchtung verzichte. Stirnlampe hab' ich eh keine und ging davon aus, sowas nicht zu brauchen. Jede Art von Kunstlicht am Körper würde die Stimmung vernichten, das empfinde ich hier glasklar. Ich durchlaufe Kälte- und Wärmeinseln. Die Luft riecht abwechselnd mild und morgendlich frisch. Der See plätschert ans Ufer, mein Atem klingt leicht aber laut durch die Nacht.


Unheimlich? Ist hier unterwegs irgendwas unheimlich? Kein bisschen - nur unheimlich schön!  Selbst als es irgendwann doch sehr einsam und unbeleuchtet wird. Als im Wald neben mir Wesen rascheln, flüchten, Geräusche machen - wider Erwarten fühlt es sich nicht eine Sekunde lang irgendwo unheimlich oder gruselig an. Im Gegenteil: heimelig eingeschlossen, behütet in Nacht und Dunkelheit. So irgendwie.


Und dann, irgendwann gegen Halbzeit,  hält er sich doch noch an die Regieanweisung, der liebe Mond und spiegelt sich artig im plätschernden Wasser.


Hört gar nicht mehr auf sich zu spiegeln auch dann nicht, als die Dämmerung langsam über die Berge kriecht und die Dunkelheit ablöst.


Schneebedeckte Berggipfel zeigen sich am Horizont


und als die schwarz-weiße Nacht verdrängt wird vom Morgen in Technicolor, da stelle ich fest: es ist  nicht nur Vollmond heute am Walchensee - es ist ja auch Herbst!


Ein Herbst mit Farben, die jeder Photoshop-Anwendung und Bildbearbeitung spotten


Bänke, überall Bänke am Wegesrand und eine einladender als die nächste. Nicht alle Einladungen kann ich ausschlagen, unterbreche meinen Lauf jetzt nicht nur für Fotos sondern - wieder eine Wärmeinsel durchquerend - lasse ich mich auf einer der Bänke nieder. Vergesse die Zeit, vergesse den Lauf, vergesse alles außer den Genuss bei erwachendem Morgenlicht, an Ufer schwappenden Seewellen, unterschiedliche  Tierrufe, die mit einem Mal laut und durchdringend von überall her schallen und den Tag begrüßen. Nur max. 1/2 Stunde lang. Dann ist es wieder still.


Es wird Licht, die Sonne geht auf 


Herbstfarben strahlen


Sachenbach, der Ort, an dem ich, sobald ich ihn sehe, denke oder sage: "HIER zu leben -  das wär's!"


In Rekordzeit  komme ich Urfeld und dem Auto näher - so lange habe ich noch nie gebraucht, glaube ich. Jede Umrundung ist irgendwie noch schöner als die vorherige und immer mehr Zeit nehme ich mir für Pausen und Genuss.


Kleines Fußbad noch zum Schluss, Oolongtee aus der Thermoskanne und ein Mürbeteigtörtchen. Dann geht's wieder zurück nach München.

Hier am Walchensee sind inzwischen - es ist Sonntag und vermutlich einer der letzten wandertauglichen Herbsttage des Jahres - alle Wanderparkplätze besetzt, Menschen ziehen mit Rucksächen und Stöcken in die Berge. Am See tummeln sich Taucher, Hundespaziergänger, Radler. Zeit zu fahren.


Auf der Gegenfahrbahn aus Richtung München stocken Autos Stoßstange an Stoßstange, fast ein Stau an der Ausfahrt Holzkirchen. Sie könnten Probleme bekommen bei der Parkplatzsuche. Jedenfalls am Walchensee - aber auch die bekannten Wanderstartplätze, an denen ich vorbeifahre,  - z. B. an der Blombergbahn - sind inzwischen rappelvoll. Was freue ich mich doch auf einen ruhigen Sonntag auf heimischer Terrasse. Mit Brunch, reifen Muskatellertrauben und einer Strickarbeit bei Sonnenschein.