30 Oktober 2012

Let's do the Time warp - total BallaBalla im Zeittunnel

noch 1,5 Minuten bis zum Start

Wie verrückt muss jemand sein, der in der Nacht der Zeitumstellung im schneevermatschten, einsam-dunklen Ostpark Münchens  einen (Bestzeit-)Marathon mitten im Zeittunnel läuft? Total Balla-Balla natürlich.

Und weil ich selber grundsätzlich vernunftgesteuert agiere im Leben :-|  bin ich nicht mitgelaufen sondern habe nur ein bisschen angefeuert, zum Buffet beigetragen, fotografiert und den andren dumm vor den Füßen rumgestanden.
da es sich offensichtlich um flüchtige Sträflinge handelt, wurden die Gesichter z. T. unkenntlich gemacht

Um der Wahrheit die Ehre zu geben - so war es wirklich: vor einigen Wochen erzählte mir der Organisator Chief-Balla von der schrägen Idee, im Münchner Ostpark nachts einen Zeittunnel-Privatmarathon zu veranstalten und fragte, ob ich nicht Lust hätte, mitzulaufen. Weil ich mir sicher war, nur zwei Wochen nach dem München-Marathon nicht schon wieder einen laufen zu wollen, lehnte ich für mich ab. Kündigte aber an, mich am Buffet zu beteiligen, vielleicht etwas nützlich mitzuhelfen und zu fotografieren.

Bei dieser Ankündigung war es mollig sommerwarm, ich selber noch ziemlich fit und der Termin weit weg.

Sprich: als es an diesem Tag schneeregnete, fror, ein Temperatursturz von goldenem Herbst zu frostigem Matschwinter just am Tag des Laufs bzw. am Tag vor der entscheidenden Nacht so ziemlich jede Lust nahm, überhaupt einen Schritt ins Freie zu tun, verfluchte ich mich sehr ob meiner Zusage. Zumal meine Körperbefindlichkeit nach dem Grusel-München-Marathon ein bisschen noch dauerangeschlagen ist, was sich durch die Dauerneigung zur Schwächlichkeit und ein extrem hohes Schlafbedürfnis bemerkbar macht.

Zudem hatte sich für Sonntag Besuch angekündigt, kistenweise Äpfel warteten in meiner Küche auf Verarbeitung ... ich verspürte den Riesendrang, mich klammheimlich aus meiner - wie ich inzwischen fand sowieso nicht allzu bestimmten und verbindlichen ... Zusage rauszustehlen. Haderte mit meiner Neigung, überall meine Nase reinstecken zu wollen, immer sofort "Ja" zu plärren und "ich bin dabei" und ohne altersgemäßen Verstand auch noch die verrücktesten Ideen erstmal  toll zu finden, wenn sie nur neu und mit Begeisterung vorgetragen um die Ecke biegen.



technische Ausstattung vom Feinsten!


Wie also wieder rauskommen aus der Nummer? Antwort: gar nicht. Salzstangen, diverse Nüsse, einen Teil der Äpfel und Schokolade sowie eine Thermoskanne mit warmem Tee einpacken, in drei Jackenschichten wickeln, Mütze, Handschuhe, Schal aus den Tiefen der Winterschubladen kramen und kurz vor Mitternacht am Startpunkt auflaufen. Fest entschlossen, dort die Mitbringsel abzuliefern, den Start zu beklatschen, ein paar Wörtchen zu wechseln und sofort wieder nach Hause ins warme Bettchen zu entschwinden.

Was ich dort vorfand, im tiefen Dunkel des winterlich eingeschneiten Ostpark verschlug mir die Sprache. Ein aufgebauter Pavillon, darin Tische, Bänke, technisches Equipment zuhauf. Versorgungskisten mit allen erdenklichen Dingen, die eventuell gebraucht werden könnten ... es sah derartig professionell organisiert aus, mit so viel Mühe, Arbeit und Organisationstalent gestaltet, dass sich auch manch angemeldete Profiläufe ein paar Scheibchen davon abschneiden könnten.

Wer würde erwarten, für ein Starterfeld von sage und schreibe sieben Personen folgendes vorzufinden:

  • professionelle Zeitnahme mit Zeitmessmatte (in jeder gut 2km-Runde einmal zu überlaufen)
  • autarke Strom- und Notstromversorgung
  • Echtzeitübertragung der Rundenzeiten auf den gut sichtbar im Zelt aufgestellten Monitor und auch ins Internet
  • ein beleuchtetes Dixiklo am Wegesrand (wenn auch nicht selber aufgestellt, so doch sinnvoll einbezogen ;)
  • eine mit Leuchtstäben und diversen anderen Utensilien bestens markierte Strecke - ordentlich und akribisch vermessen, versteht sich
  • Streckenversorgung mit kalten und warmen Getränken jedweder Couleur von Wasser über Isogemisch (gerne auch auf persönlichen Wunsch eines Läufers individuell zubereitet und an die Strecke gebracht in folgender Runde), Tees, Cola, Bier ... jeder bekam jeweils das, wonach ihm gelüstete. 
  • Ein Versorgungsbuffet mit frischem Obst, Kuchen, Nüssen, Salzstangen, gesalzenen Nüssen, Müsliriegeln, Gels, Schokolade und nach Zieleinlauf heiße Tütensuppe (frisch zubereitet auf dem eigens mitgebrachten Gaskocher).
  • Individuelle Startnummern mit Vereinsangabe und Namensaufdruck
  • liebevoll gestaltetete  Medaillen mit Platzierungsangabe und auch DNF-Medaillen für die nur Teilstrecken-Mitläufer
Es war der absolute Wahnsinn. Komplett Balla-Balla eben.




Der spätere Sieger - vor 4 Wochen erst in Berlin einen Marathon in unter 3 Stunden gelaufen, ist er hier schon wieder total flott und immer vorne.

Beim Start um Mitternacht waren viele der Teilnehmer schon lange vor Ort. Bei denkbar unwirtlichen Bedingungen mit zunächst Schneeregen, dann nur noch Schnee, der aber am Körper sofort schmolz.

Während der gesamten Nacht zeigte sich sage und schreibe nur ein einziger Mensch auf der Strecke, der NICHT zum Marathonteam gehörte. Nichtmal Hundeausführer waren bei diesem Mistwetter in der Nacht unterwegs. Niemand. So hatten die 7 Starter auch nur uns 3, zeitweise 4 weiteren Personen, die am Stand verblieben, als Zuschauer und Jubelpublikum.


Sie begaben sich auf die einsame, nachtdunkle Strecke mit Laub und Pfützen übersät und zunehmend hoch bedeckt von pampigem Schneematsch. Widerlicher geht kaum.


Ein einige-Runden-Dreher, der dann per Rad nach Hause ins Warme entschwand.


Ein immer fröhlicher Weihnachtsmann im Lichterkostüm. Auf den Fotos kommt es nicht wirklich zur Geltung weil die Schneeflocken im Blitzlicht reflektieren. Real war es immer eine herrliche Show, wenn die Lichtgestalt, die mit SantaClaus-Glöckchenkette am Fuß wie ein himmlischer Rentierschlitten bimmelnd daherkam und - immer gut gelaunt, immer fröhlich - die Matte überlief. Trotzdem war für ihn nach der HM-Distanz Schluss. Alle waren schon zu diesem Zeitpunkt komplett durchgefroren und fertig.


Profibetreuung am Stand. Meine Wenigkeit stand eigentlich nur unnütz im Weg rum und tarnte diesen Umstand durch gelegentliches Schälen von Äpfeln und Bananen.


Der Versorgungstisch wurde gut frequentiert. Die Kälte fordert Energienachschub.

eine Sekunde nach dem Zeitsprung - die Läufer mit tollen Zeiten auf schwieriger Strecke

Der Leser hat es schon bemerkt: das mit dem "nach einer Höflichkeitsstunde wieder entschwinden" wurde später ausgeweitet auf: "wenigstens bis zum Time Warp, also der Zeitumstellung durchhalten".  Wanderschuhe mit zwei Paar Socken, lange Skiunterhose unter Thermohose, ungefähr 3 Klamotten- und fünf Jackenschichten sowie jedes erdenkliche Winterzubehör, warme Getränke und reichlich Süßes hatten dafür gesorgt, dass mir immer noch mollig warm war. Abwechslungsreich genug, um jede Müdigkeit zu vergessen.


so kreiseln die Balla-Ballas nimmermüde ihre Runden


mal ohne, mal mit Blitz - es hat schon Stimmung in der Winternacht





fast verschluckt von der Dunkelheit



auch einen HM zu laufen unter diesen Bedingungen: super Sache!


die 3 Marathonfinischer - wohlbehalten zurück aus dem Zeittunnel

von den 7 Startern drehte einer nur einige Runden mit, zwei beendeten nach HM, einer nach - wenn ich mich recht erinnere - 30km.

Auf dem Foto oben zu sehen: die drei bejubelten Marathon-Finisher. Eine unglaubliche Leistung, wie ich finde. Und weil ich das schon auch in der Nacht fand, konnte ich mich nicht früher loseisen und blieb so meinerseits bis zum Ende der Veranstaltung im Park. Wo die komplett geschafften Läufer dann auch noch abbauen und einpacken mussten. Daran beteiligte ich mich nicht. Schnappte mir lediglich die von mir mitgebrachten Utensilien, tätigte noch eine "Taxi-Heimfahrt" bei glatten, schneevermatschten Straßen ans andre Ende Münchens und kam tatsächlich um 6 Uhr,  also gut 7 Stunden später - es wurde schon wieder hell draußen - zu Hause an und konnte noch ein paar Stündchen ins Bett kriechen.

Mein Fazit: was ich anfangs für eine zwar lustige und engagierte "dumme-Jungs-Idee" gehalten hatte, ist für mich inzwischen ein perfekt organisierter Privatlauf, bei dem wirklich ALLES bedacht wurde. Diese Mühe, dieses Engagement und diese Begeisterung hätte - samt Equipment - mindestens auch für einen öffentlichen Lauf mit mehreren hundert Teilnehmern gereicht.

Und ich denke: sowas ließe sich daraus durchaus machen. Die Idee hat Pepp, die Lokalität ist perfekt und es wird doch nicht jedes Jahr Ende Oktober zur Zeitumstellung das ekelhaftest denkbare Wetter sein ...

Vielleicht könnte man die Verantwortlichen des Zeittunnels aber auch dazu überreden, die Zeitumstellung auf eine zivilere Mittagszeit zu verlegen, dann würde sogar ich mir überlegen, da mal mitzulaufen irgendwann ;-)