"Bisse bekloppt oder was?
Ich lauf' doch keinen Ultra!"
Irgendwann um diesen meinen Ausspruch herum - also so ungefähr Höhe Halbmarathon - wäre es ihm klar gewesen: dass ich durchlaufen werde. So behauptete er zumindest hinterher. Der eine von den beiden ziemlich humorigen Mitläufern, die mir 50 Kilometer lang hinterhältigerweise vorgaukelten, sie wären auch so langsam wie ich *Hallo Thomas, Hallo Manfred*
Und dann bei Kilometer 55 abzogen als hätten sie nochmal frische Beine untergeschnallt. Oder lag's daran, dass meine Beine nicht mehr ganz so frisch waren und
ich deutlich langsamer wurde? Aber ich wär' wohl auch ohne die beiden weitergelaufen. Waren ja noch genug interessante Leute und Gespräche außerdem rundum. Und Ruhe zum Glück auch mal ... vielleicht aber auch nicht ... wer weiß das schon so genau ...
Achnee, der Reihe nach, oder? So mit Weckergeklingel am Anfang. Dummerweise werd' ich meist ohne Weckergeklingel wach und vor so'nem Lauf schon sowieso.
Aufgehört hat's jedenfalls - viele viele Stunden später - damit, dass mich meine -
A C H T U N G ! W E R B E E I N B L E N D U N G!
..... meine wunderbaren Lieblingslaufschuhe "Adidas Chill": babyblau, gekauft im Mai 2011 am Lake Tahoe in Kalifornien für - wenn ich recht erinnere - ca. 27 $. Ungedämpft, ohne jeglich Stütze oder Führung und mit beweglich eingekerbter Sohle. Leichter als viele berüchtigt leichte Racer.
ENDE WERBEINBLENDUNG
... sie trugen mich gestern, Sonntag den
30. Oktober 2011,
8 Stunden, 45 Minuten und 33 Sekunden nach Anpfiff, beim
Röntgenultralauf über 63,3 Kilometer durchs Bergische Land, über Höhen (knapp 900 Höhenmeter) und durch Täler ... wohin trugen sie mich? Na ins Ziel doch.
Das wäre er dann auch schon. Eigentlich. Der Bericht. Marathon war geplant und gemeldet - im Hinterkopf der Ultra. Reizvoll am
Röntgenlauf: Marathon und Ultramarathon kosten nicht nur genauso viel Meldegebühr. Jeder Läufer kann auch unterwegs erst entscheiden, ob er das eine oder andere wählt. Zwar ist an der Startnummer der ursprüngliche Plan erkennbar. Laufen LäuferInnen aber weiter oder steigen vorher aus, so gilt die gelaufene Distanz. Urkunde und Medaille werden entsprechend verliehen. Narren- und Entscheidungsfreiheit bis zum letzten Meter.
Aber hätte ich diese leichten Schläppchen wirklich gewählt, wenn ich nicht spätestens
davon erhofft hätte, von dieser völlig irren Idee: vom Marathon um nochmal nen halben Marathon auf eindeutigen Ultra - was dann der erste solche für mich wäre - zu verlängern ... abgebracht zu werden? Wer jetzt denken mag: ach, die Chills sind sicher wie die Nike free und damit laufen manche Irren ja auch Marathon, der irrt ein bisschen. Denn: die frees habe ich auch. Und nicht im Traum käme ich auf die Idee, mit denen einen Wettkampf mitzulaufen oder sie gar für einen Marathon zu wählen. Sie machen mich schlappig und behäbig. Sind bequem aber langsam.
A C H T U N G ! W E R B E E I N B L E N D U N G! Ganz anders die Chiller. Sie machen und lassen die Waden leicht und locker, die Füße schnell ... - ENDE DER WERBEINBLENDUNG -
... naja gut, was bei mir eben so "schnell" heißt ...
Aber was ist zu erwarten bei einer durchschnittlichen Wochen-Laufleistung (über's Jahr gesehen) von unter 35 Kilometern? Als Vorbereitung für einen Ultra gilt 1 [in Worten: EIN ! ] langer Lauf im gesamten letzten halben Jahr über sage und schreibe 30 Kilometer auch als eindeutig suboptimal. (wobei 'ne Bergwanderwoche im Wellnesstempo dazukommt. Vermutlich auch nicht der Hit an Laufvorbereitung aber immerhin für die Ausdauer brauchbar). Sogar für nen Marathon eher leichtfertig. Noch dazu, wenn sichs um nen Marathon auf - ich kann das jetzt mal wirklich unterstreichen - sehr anspruchsvoller Strecke handelt. (so, genug Vorgeplänkel, das natürlich dazu dient, meine "Leistung" von unterm Scheffel - oder hätt' der Quatsch da mal besser versteckt bleiben sollen? - ins strahlende Scheinwerferlicht der kritischen Blogleseröffentlichkeit zu zerren.)
Erstes Drittel Röntgenlauf: Menschenmassen - noch sind auch die vielen Halbmarathonis mit am Start und Walker - ergießen sich auf die Strecke, die erstmal eine Rundschleife durchs Örtchen führt. Erst ordentlich hoch, dann wieder ordentlich runter, ordentlich hoch ... und so weiter über die ganzen folgenden Kilometer. Ab und zu sogar *uffff* so RICHTIG ORDENTLICH HOCH und runter (steil runterlaufen find' ich ja eh klasse! Fühlt sich immer ein bisschen so an als würde ich gleich losrollen und als ob das Gewicht mal fast nen Vorteil wär').
Am Rand der Strecke auf erstem Drittel für meine Begriffe nahezu Menschenmassen mit Ratschen, Schnarren, Tröten, Pfeifen, Glocken ... LÄRM, ein HÖLLENLÄRM! Hey, ich bin hier unter anderem hergekommen um einen ganz idyllischen Landschaftslauf zu laufen. Mit Vögleingezwitscher, Rauschen der Blätter im kühlen Herbstwind ...
Bilder gibt's diesmal übrigens keine von mir - keine Lust gehabt, das Fotodingen auch noch mitzuschleppen. Wer mag, der drehe sich einen eigenen Kopfkinofilm. Kulissenanweisung dazu: idyllische Orte mit Schiefer- und Fachwerkhäusern, von Wasser angetriebene Mühlräder. Weite, einmal sanft geschwungene dann wieder deutlich mittelgebirgige Felder, Wälder und Wiesen in Morgen-,und später dann Abendnebel. Dazwischen wenn auch eher seltene Sonnenstrahlen. Wald- und Feldwege mit Steinen, Wurzelpfade und Dorfstraßen, hohe Bahn- und sonstige Brücken. Bäume jeglicher Herbstcouleur: hell-, dunkel, gold- und leuchtend gelb. Dasselbe Spektrenfeld auch in rot und braun und viele auch noch in grün. Gluckernde Bäche am Wegesrand, (Stau-)seen, Pferdekoppeln, Aussichtspunkte ...
Nach Zieleinlauf der Halbmarathonis - selbe Strecke mit lediglich geteilten Mittelabzweigen: ins Ziel oder weiter. Für mich natürlich weiter - wird's endlich ruhiger. Keine Menschenmassen mehr, kaum noch Schnarren, Knarren und Tröten. Selten bei Ortschaftenberührung - aber erträglich. Nur hier und da Wanderer und Spaziergänger. Das verbliebene Marathon- und Ultrafeld entzerrt sich. Ab hier: die immer gleichen Begleitgesichter (um nicht zu sagen: Pappnasen :-p ) bis zum Marathonziel. Launige Gespräche, viel Gelächter und Spaß - die Bergabpassagen immer noch mit Schwung und Schmackes genommen.
Soll ich behaupten, dass ich extra bequem gelaufen bin? Würde bis zum Halbmarathon noch halbwegs stimmen. Da kam ich nach ca. 2:25 h an (leider stehen bei mir in der Zeitmessung die genauen Splitzeiten nicht). Das war noch einigermaßen stressfrei. Nach gut 5:20 h (und damit nur knapp 10 Minuten vor "Cut off Zeit", nach der ich gar nicht mehr hätte weiterlaufen dürfen) beim Marathonziel wäre es glatte Hochstapelei. Maximal 10 Minuten schneller wäre bei Vollgas VIELLEICHT! möglich gewesen. Mehr auf keinen Fall.
Hier lief ich - komplett denk- und hirnfrei - statt ins Marathonziel - auf der Ultraspur weiter und zum direkt dahinter liegenden Versorgungspunkt. Wo ich empfangen wurde mit: "Na siehste woll! Datt Mädel hat nich nur die richtichen Ultragene - et iss auch noch
vernünftich!" Tja ... is eben alles 'ne reine Definitionssache mit der Vernunft ....
Kurz mich selbst gefragt, wie's mir denn so gehen mag. Das schon. Antwort: "och, eigentlich nicht viel schlechter als beim Big Sur" ... also: VOR dem Start ... na dann ...
Andererseits: hätte es nicht SO schön enden können?! Einen derartig anspruchsvollen Marathon gelaufen zu sein und immer noch einigermaßen fit? Ich meine: wo steht geschrieben, dass frau IMMER völlig vernichtet ins Ziel zu kriechen hat?! NIRGENDWO STEHT DAS. ICH DEPP!
So schnappte ich mir die leckersten aller frisch gebackenen Müsliriegel (was für eine Luxusversorgung!), Cola und was frau sonst noch so braucht für unterwegs und außerdem mein Handy.
Vermeldete nach München an den besten aller Ehemänner, dass ich gerade durchs Marathonziel eines wirklich stramm-schwierigen Landschaftsmarathons gelaufen wäre und dann, den herzlichsten Ehemannglückwünschen ins Wort fallend ... jetzt allerdings noch ein
bisschen weiterlaufen würde ... ... ich glaube nichtmal, dass er sich sonderlich drüber gewundert hat ...
Dummerweise und um die letzten gut 21 Kilometer hier nicht ganz so lang werden zu lassen wie sie mir erschienen (gefühlt mindestens ein 100 Meilen-Lauf zwischen Kilometer 55 und 60): alle in meiner Nähe befindlichen zogen ab als wäre es normal, das letzte Drittel am schnellsten zu laufen. Hinter mir immer weniger. Wofür ja schon die Cut-off-Zeit im Vorhinein gesorgt hatte. Von den wenigen zogen noch einige an mir vorbei.
Dann über einige Kilometer eine Organisatoren-Jungmann-Radbegleitung: ich konnte ihn aufmuntern - fast hatte er es geschafft. Nach einem Tag im Fahrradsattel. Auch den Versorgungsständen unterwegs zollte ich zunehmend großes Lob: "Super, Wahnsinn! Ihr macht das so klasse!" und: "bald habt ihrs geschafft - kommen nicht mehr viele!" :o) Ohne ein bisschen Galgenhumor und Dummwitz geht gerade am Schluss bei mir gar nix mehr.
Ja - und irgendwann nach einem wirklich langen Tag auf den Beinen - war auch ich im Ziel. Medaille mit der - viel zu dezent *pfff* ;-) eingravierten Zahl: 63,3 km.
Im Zelt die Interims-Begleiter fast alle noch da. Große gegenseitige Gratulationen, Endorphinmassen wabern durch die Abendluft, auch die letzten Läufer treffen ein. Alle glücklich, alle zufrieden.
Von Mitläufer-Abhol-Freundin Zigarette geschnorrt und sehr genossen. Dann von Orgahelfer-Ehepaar auf absolut privater Basis ins fast 4 Kilometer entfernte Hotel gefahren worden. Völlig ohne mein Zutun das nette Angebot, von mir glücklich angenommen. So viele freundliche Helfer und Menschen. Das ist auch der Röntgenlauf!
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Bestandsaufnahme am Tag danach:
weitgehend wohlauf. Psychisch absolut.
Physisch: Laufen ginge heute noch nicht. Nichtmal kleinste Joggingschritte. Warum? -> Harte Oberschenkel und ultramäßiger Muskelkater im Po. Die viele Umsteigerei mit oft knappen Anschlusszügen war eine echte Herausforderung - Stichwort: Bahnhofstreppen ....
Waden: locker, problemfrei und weich
Füße: nach bzw. mit Hilfe des Coolpack aus'm Hotel schnelle Verminderung der anfänglich aufkeimenden Schmerzen. Leichte Schwellung an Problemferse rechts ging auch wieder zurück. Sieht gut aus soweit. Mal die Woche abwarten (ausruhend, versteht sich ;)