08 Mai 2022

Aguamulas - entlang des "Wasser der Maulesel"

 Sonntag, 08. Mai 2022


Eine Wanderung soll es noch sein. Aber wohin?  Dass es eine spanische Wanderkarte dieser Gegend zu kaufen gibt, habe ich gestern im Dorfladen gesehen. Fand das jetzt aber irgendwie zu spät. Google Maps zeigt mir immerhin diejenigen Wege, die im Prinzip autotauglich sind. Und an der Straße sehe ich  ganz in der Nähe des Campingplatzes  ein Hinweisschild zu einem Weitwanderweg, der auf der anderen Seite des Guadalquivir verläuft.

Was Ausschilderungen von Wandertouren angeht, ist das hier ein bisschen anders als in Deutschland oder den angrenzenden Alpenländern. Wenn überhaupt, dann finden sich nur an den wirklich bekannten Touren Ausschilderungen. Und diese recht spartanisch. An zentralen Punkten kommt mal ein Schildchen, dann in wirklich oft  sehr langen Abständen ein Wegezeichen und ansonsten oft kilometerweit nichts. Am Weg auftauchende Höhlen, verlassende Almen, Abzweigungen zu anderen Wegen ... nichts ist ausgeschildert. Die Wandersfrau weiß, wo es dort hingehen könnte oder sie erfährt es auch nur, wenn es sich um einen der ganz berühmten Wege handelt und sie genau hinguckt.


Nun besaß ich keine Karte der Gegend aber so ein ausgewiesener Weitwanderweg entlang eines Flüsschens, des "Aguamulas" der sollte unproblematisch sein, finde ich. Ich fahre also  die ersten paar  Kilometer mit dem Rad, schließe es, als  eine Schranke auftaucht, dort ab und gehe zu Fuß weiter.

Der Weg, ein recht breiter teils sandig-huckeliger, teils steiniger Weg mit nur moderaten Steigungen, wäre noch eine Weile  fahrradtauglich  gewesen. Aber mir ist an diesem Tag mehr nach wandern.



Es ist ein schöner Weg. Leicht zu gehen mit wunderbaren Ausblicken, Möglichkeiten, ans Wasser zu gehen und davon zu trinken. Denn auch für menschliche Esel ist es erfrischend und durstlöschend.

Señor Sol legt inzwischen richtig los  - die Temperaturen bewegen sich um 30°C.Wobei das für Andalusien um diese Zeit normal ist. Nächste Woche werden noch bis zu fünf oder mehr Grad mehr erwartet.


Umso verwunderlicher scheint mir, dass mir in den acht Stunden eines perfektwetterigen Sonntags, die ich diesen wunderbaren Weg entlangwandere, kein einziger anderer Mensch begegnet außer ich mir selber. Eine wunderbare Gelegenheit, sich ein bisschen besser kennenzulernen ;-)


Die Menschenleere kann natürlich damit  zu tun haben, dass dieser Weg wirklich lang ist und - sofern man keine der Weitwanderstrecken geht - im Grunde kein Ziel hat. Weitwanderung bis zum nächsten Refugio fällt für mich flach. Als dieses  Schild an einer markanten Stelle auftaucht, habe ich schon mehr als 10 Kilometer in den Beinen und ich muss ja auch zurück zu Rad und Mobil.


Ein bisschen weiter gehe ich noch. Denn jetzt wird`s erst richtig trailig.


Immer wieder macht der Weg Biegungen und gibt Blicke in andere Richtungen frei. Heute muss ich gar nicht groß warten, bis ich "die andere Seite" sehe. Im Gegenteil bieten sich gleich mehr als zwei Seiten von alleine an.


Immer wieder auch Abschnitte durch Pinienhänge, wie immer unglaubliche Mengen an Rosmarin. Aber auch Thymian, Lavendel, Zistrose und viele andere Kräuter säumen die Wegränder.


Es wird karger, ich überwinde  eine Höhe, erwarte den Ausblick auf wieder eine "andere Seite" 


Aber es folgt der Blick auf die Steinreste einer verlassenen Alm. Wiesen. Eine Art Talkessel. Rundum Felsen, Baumgruppen, Abhänge. Es ist extremst idyllisch. In der heißen Nachmittagssonne steigen Kräuter- und Baumdüfte in die Nase. Insekten brummen, sirren, flattern. Grillen zirpen.

Nach einer Stärkung mit den mitgenommenen Vorräten strecke mich im warmen Gras aus und döse ein halbes  Stündchen vor mich hin. 

Nebenbei bemerkt: hier gibt es auch nirgendwo an den Wegen aufgestellte Bänke, Tische oder sonstige bei uns wandertypisch gebotene Infrastruktur. Absolut nichts dergleichen. Will man sich setzen, sucht man sich einen Baumstamm oder einen Stein.


Inzwischen bin  ich fünf Stunden unterwegs. Keine Menschenseele weit und breit. Übrigens auch kein Handynetz. Passieren sollte einem hier möglichst nichts ernsthaftes. Laut Höhenlinien auf der Karte müsste ich ca. 800 Höhenmeter erwandert haben.

Ich habe hier bei der ehemaligen Alm bisher keinen Hinweis darauf gefunden, wo der Weitwanderweg jetzt weiter verläuft. Keinen sichtbaren Weg, kein Schild. Irgendwie möchte ich vor dem Umkehren doch noch rausfinden, wo es weitergegangen wäre ... wandere  ein bisschen in jede Richtung, finde  rot-weiße Kreuze. Was übrigens bedeutet: hier geht es nicht weiter! Um das zu kapieren, musste ich allerdings einmal erst falsch einbiegen. Anstatt deutlich den richtigen Weg zu kennzeichnen, kommt es nicht selten vor, dass an fraglichen Stellen nur der falsche Weg mit diesem Kreuz als eben der falsche markiert ist. Ohne in einem Zug auf den richtigen hinzuweisen.

Rot-weißer waagerechter Balken bedeutet: richtig.   Rot-weißes Kreuz: falsch. Gewöhnungsbedürftig. 

Irgendwann entdecke ich im Talkessel  einen Holzbalken mit der "richtig-Markierung". Dort ist es saftig-grün, es wird ein wenig matschig-weich. Als ich in diese  Richtung schlendere weht  mir plötzlich ein sehr strenger Geruch in  die Nase. Ich erkenne ihn: Wildschweine! Spuren sieht man überall, wenn man hier wandert. Aber die Tiere selber lassen sich - mir ist das ganz recht - nicht so leicht blicken. Und nun ahne ich: da unten in der feuchten Senke ... da halten sie ihre Nachmittagsruhe.


Nun ist es ohnehin an der Zeit, umzudrehen. Und mit  aller Gewalt möchte ich dann doch keine brenzlige Situation provozieren.


Begebe mich auf den Rückweg. 

Wenn ich früher eine zu wiederholende Hin-Rückstrecke gewandert bin, fand ich das meistens eine nicht so tolle Sache.  Mehr so die Notlösung wenn es nicht anders geht. Mag oder mochte Rundwege lieber. 

Diesmal erinnere ich mich wieder: genau wie man niemals zweimal in denselben Fluss steigen kann, kann man auch niemals zweimal denselben Weg gehen. Schon die andere Richtung macht ihn neu. 
Der Blick ist anders, das Licht, die Geräusche und natürlich auch wieder die Wandererin, die ihn geht. Jetzt, wo ich bewusst darauf achte, freue ich mich darüber, die Einstellung zu Hin-Rückstrecken  geändert zu haben. Eine andere Version auch noch sehen heißt schließlich auch, die Betrachtungsweisen zu verdoppeln und den eigenen Horizont auf unkomplizierte Weise zu erweitern :o)


Dieser Naturpark hier hat eine neue Liebhaberin. Wie gerne würde ich auch einmal wieder eine Weitwanderung in einer solchen Gegend unternehmen.


Etwa auf Hälfte des Rückweges sehe ich ein mir unbekanntes Tier das aussieht wie ein riesiger Ziegenbock, gemächlich auf dem Wanderweg entlangschlendern. Groß wie eine Kuh - im ersten Moment und von weitem wirkte er fast wie ein Elch. Aber die  leicht gedrehten kurzen Hörner passen da überhaupt nicht zu. Außerdem hat es einen Bart wie eine Ziege.  Eindeutig ein männliches Tier - das Gemächt  baumelte sichtbar zwischen den Beinen.

Als er mich hört, dreht er  sich kurz zu mir um, schaut mich einen Moment an und verzieht sich ohne allzu  viel Eile ins Unterholz. Ich wüsste gerne, um was für ein Tier es sich handelt.



Den Weg bin ich in Treckingsandalen gewandert. Die Füße schmerzen. Ich bin froh, als ich wieder beim abgeschlossenen Rad ankomme und die letzten Kilometer zum Campingplatz fahren darf.

Wo sich herausstellt: trotz heute in weiser Voraussicht aufgetragenem Sonnenschutz (mache ich extrem selten) bin ich etwas angekokelt. Auch die Füße sind durch die Sandalen rot-weiß gestreift. Unter dem Fuß, vorne am Ballen, habe ich mir zwei Blasen gelaufen. Egal. War eine tolle Wanderung heute.

Morgen geht`s wieder langsam in Richtung Norden. 



5 Kommentare:

Balla Doc hat gesagt…

Und!?
Wildschweinbraten war lecker?

Danke für Deine Reiseberichte, machen neidisch und erinnern mich an meine Spanienfahrt nach dem Abi, kürzlich, vor 40 Jahren, im letzten Jahrtausend.
Bei der Beschilderung der der Wanderwege scheint man auf das damalige [spartanische] Konzept unverändert zu setzen...

Aber ich hätte jede Wette verloren und mich nicht gewundert, würden weitere Berichte ausbleiben, wähnte ich Dich schon als dauerhaftes Mitglied in der Hippie-Sekte.

Auf nichts kann man sich mehr verlassen.
Gute Erholung,

LG
Balla Doc

Trudy hat gesagt…

Da konnte ich leise schmunzeln, mir ist es genau gleich ergangen. Früher kamen nur Rundwanderungen in Frage, später entdeckte ich wie du, dass der Rückweg genau so spannend ist wie der Hinweg.
Danke für deine schönen Berichte
Trudy

lizzy hat gesagt…

Alex :)

dass es sich bei den späten Wüstenhippies um einen netten Fake handelt, hast du sicher geahnt - mir war es auch schnell klar. Aber um es mal wieder in Goethes Worten zu sagen:

„ Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
Den will sie doch und soll ihn haben.“

Danke und bis bald!



Trudy, du bist mir eben um einen oder einige Erkenntnisschritte voraus. Ich sollte mich auch bald nach einem größeren Garten umsehen :o)

regenfrau hat gesagt…

Spannenden Begegnungen!
Menschliche Mitwanderer (ich überlegte zu Beginn, ob der echt oder im Kopf war), tierische Fabelwesen (schon Tipps bekommen, was das sein könnte?).
Und trotzdem - diese herrliche und wohltuende Abwesenheit von Menschen(massen). Schon beim Lesen ein Genuss!

lizzy hat gesagt…

Hallo Doris,

es ist vermutlich ein Wildziegenbock.

An diesem Tag war der menschliche Mitwanderer nur noch im Kopf - zwei Tage vorher echt ;-)