24 Juli 2012

"Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen"

dieses Zitat (s. Titel) von Helmut Schmidt aus dem Jahr 1980, von mir gelesen in der Süddeutschen Zeitung vor einigen Wochen, löste bei mir große Heiterkeit aus.

Sagte ich doch selber noch vor nicht allzu langer Zeit zur "besten Freundin der Welt" (*wink* ;) als ich ihr eine Art "visionäres Geschehen" schilderte und dieses zu ergründen suchte: "Vielleicht hab' ich ja auch einfach nur 'nen Gehirntumor."

Wobei dieser Verdacht sich bei mir wieder gelegt hat - oder wie langsam wachsen Gehirntumore?

Der langjährige Blogmitleser wird sich vielleicht an ein Posting von vor fast 4 Jahren erinnern: "Eagles and horses im Bauch" .. okay, okay ... der Normalmensch wird sich natürlich NICHT an ein Blogposting von vor 4 Jahren erinnern ... findet es aber bei Interesse im obigen Link. Und findet dort, dass mir - hat es mit Yoga zu tun oder mit gelegentlichen Meditationsversuchen oder einfach nur mit zunehmendem Alter, Wechseljahresanwandlungen oder doch ein Gehirntumor? - ab und zu die Synapsen querschießen und durchaus angenehme und zumindest spannende "visionäre Momente" bescheren.


 alte verfallene Waldenserhäuser neben dem Refugio Barbara Lowrie - teilweise renoviert als Wochenendhäuser

Nicht oft. Sogar sehr selten im Grunde. Ich würde behaupten: "alle paar Monate oder auch mal Jahre" IST selten? Aber gerade wenige Wochen vor diesem Wanderurlaub war's mal wieder soweit. Nicht mit Musik wie im verlinkten Beitrag beschrieben sondern gänzlich anders. Auch nicht im Traum sondern in einer Yoga-Tiefenentspannung.

Ist es sinnvoll oder ratsam, dieses Geschehen hier inhaltlich auszuführen? Mal überlegen ... Zumal es sich, obgleich durch einen Begriff ausgelöst, um wort- und sprachfreie Vorgänge handelt, die mit Worten und Sprache nur höchst unzureichend wiederzugeben sind. Ich versuch's:

Es war eine nur leicht an- bzw. eingeleitete Tiefenentspannung und schon vorher war ich unabhängig davon in einem sehr klar-konzentrierten Zustand ohne mir dessen bewusst zu sein bzw. dies zu reflektieren.

Am Beginn der Entspannung, in die reinzukommen an diesem Tag völlig automatisch und ohne Mühe funktionierte, fiel das Wort (ich habe keine Ahnung mehr, ob in einem Zusammenhang und wenn 'ja' dann in welchem) "kristallklar" und löste etwas höchst kurioses (zumindest für mich ansonsten ziemlich durchschnittliches eher vernunftorientiertes Wesen ;) Gefühlserlebnis aus:


Das Wort "kristallklar" breitete sich nicht als Wort, sondern als "Zustand" zunächst in meinem Kopf und Gefühl aus (ich sage bewusst nicht: "in meinem Denken" weil ich die Ratio als nicht beteiligt sah und auch im Nachhinein nicht involviert sehe bzw. existierten diese Unterscheidungen nicht mehr als Begrifflichkeit und auch nicht als Wirklichkeit). Es wurde vom Wort zur Farbe: changierend und fließend von tief- über königsblau, see- über smaragdgrün ... aber immer durchsichtig, klar, kalt. Diese Farbe mit dem begleitenden Gefühl von Klarheit, Kälte (nicht unangenehm) und Farbe durchflutete mein körperliches und geistiges Wesen vollständig. Trat dann wieder aus mir heraus und ich war vollständig absorbiert von diesem Farb-, Kälte und kristallklaren Wasserfluss. Mittendrin. Es umfloss mich, nahm mich auf - ich floss mit. War selber Farbe und Klarheit und Kälte und löste mich Stück für Stück darin auf bis ich selber nur noch Wasser war und Farbe. Fließend, eiskalt und kristallklar.

Ja. Das war's schon. Dann war die Tiefenentspannung vorbei und ich blieb etwas verwirrt zurück. Erinnerte mich - Jahre später und ich hatte ewig nicht dran gedacht - sofort an die Adler und Pferde als tanzende Musikfäden im Körper und dass es zwar völlig anders war aber irgendwie die gleiche Erlebnisecke.

Erstmal nimmst du sowas einfach hin und analysierst nicht groß. Irgendwann dann natürlich doch. Weil ich zu den Religionsignoranten oder "bestenfalls" zum Lager der Agnostiker gehöre, scheiden  mystisch-übernatürliche und damit auch jegliche Erklärungsmuster, die "Außenbeteiligung"  ins Spiel bringen, aus. Folglich glaube ich auch nicht, dass es Relikte und Botschaften aus einem früheren Leben sind :o)  Wenn überhaupt, dann wäre mir der Gedanke sympathisch, dass Boten und Verkünder einer kommende späteren Existenz sich ein bisschen in die Karten luren lassen. Ich wäre schon gerne mal Wasser(tropfen), der über Felsen und Klippen springt, kristallklare Bäche und Seen durchläuft und irgendwann nach einer langen Reise im Meer landet. Schöne Idee eines nächsten Lebens (oder ist man als Wassertropfen gar nicht lebendig?) ...

Es könnte natürlich - und hier an dieser Stelle fällt mir die "Gletscherspalte" ein - auch eine Art "Todesvision" sein. Das Auflösen und Aufgehen in Allem, das Fließen und Vergehen - es hatte durchaus ein Gefühl von "Sterben". Aber angst- und schmerzfrei und sogar so, dass das Wort "Todessehnsucht" einen neuen Geschmack bekommt.



Ich "entblöße" mich bzw. dieses Geschehen hier und bei der heutigen Urlaubsetappe aus einem ganz konkreten Grund (ohne exhibitionistische Neigungen zumindest geistig-sprachlich-emotionaler Art lässt sich langfristig wohl kein Blog betreiben. Ich stehe da manchmal zu ;):

Rund um das Refugio "Barbara Lowrie" befindet sich ein weites Gelände mit vielen Bach- und Flussläufen, im Hintergrund mehrere kleine, nicht direkt sichtbar aber laut hörbar auf der anderen Talseite ein sehr großer und tosender Wasserfall. Alles ist übersät von Pflanzen: Blumen, Moosen, Kräutern, Bäumen. Steine und Felsen unteschiedlicher Farben und Größen liegen verstreut auf der weitläufigen Fläche. Im Grunde aber ist es wohl nichts sonderlich besonderes, dieses Gelände. Nirgendwo, in keinem meiner Bücher, nicht im Internet ... wird es herausgehoben, als "besonders" erwähnt. Viel Wasser in unterschiedlichen Formen, Wiesen und Felsen. 'n paar Wasserfälle ... sowas gibt's in den Alpen quasi an jeder Ecke.




Wir waren früh dran, hatten - ab heute wieder nur noch zu zweit unterwegs  - einen sehr innig-intensiven und schönen aber eher unanstrengenden Wandertag hinter uns, so dass noch Zeit und Energie blieb, die Gegend zu durchschlendern. Ich ging alleine tief in dieses Gelände hinein. Wanderte vielleicht 10 bis 20 Minuten lang außer Sichtweite immer tiefer über Gräben, Bäche, Lärchenbewuchs. Vorbei an Felsen und darüber hinweg bis ich mich irgendwann auf einem davon niederließ und einfach nur saß, hörte, schaute und fühlte.

Und da war es wieder: nicht als "allausfüllende Vision" sondern etwas "abgespeckt" nur wie eine Erinnerung und ein Nachhall auf eben diese oder wie ihre kleine Neuauflage. Das Wasser mit seiner vielstimmigen Musik aus Tosen, Rauschen, Fließen, Tropfen, Gluckern, Plätschern. Seinen in den einzelnen Ausprägungen - je nach Tiefe, Geschwindigkeit, Stand oder Fluss - unterschiedlichen Farben aber immer kalt und klar, sie drangen in und durch das Bewusstsein ins eigene Wesen ein, verschmolzen miteinander, das Ich schwang, klang, tropfte, floss und rauschte im Gleichklang mit  ... und ich ließ es geschehen. Saß dort und merkte irgendwann, dass ich weinte vor tiefer Empfindung. Alles zusammen erzeugte ein Glücksgefühl wie es größer und tiefer kaum vorstellbar ist.  Fast nicht auszuhalten schön und als ich den ersten Gedanken wieder denken konnte, lautete er kristallklar: "Das ist ein guter Ort zum Sterben" ... dem ich aber wohlweislich ganz bewusst gedanklich hinzufügte (nicht, dass ich etwa abergläubisch wäre ... ;): "darf aber gerne ein bisschen später sein - jetzt jedenfalls bitt'schön noch nicht - ist ja grad gar so arg schön ..." :o)

Vielleicht hilft's, sich seine Todesart zu wünschen? Versuch wär's wert: ich würd' dann also bitte gerne irgendwann später - darf auch ziemlich viel später sein *s* - irgendwo und irgendwie sterben, wo ich die Chance habe, von kristallklarem Wasser - von mir aus auch rattenkalt - umflossen zu werden. Womit wir wieder bei der Gletscherspalte wären ...  Aber vielleicht sollt' ich doch mal erst zum Arzt gehen ... von wegen "Gehirntumor" ...



Irgendwann wurde mir bewusst, dass ich nun schon lange außer Sichtweite des Rifugios rumgeisterte und sich der beste aller Ehemänner möglicherweise um mich sorgen könnte. Wusch also mein etwas heuliges Gesicht im kristallkalten Wasser und machte mich auf den Rückweg.

Von wegen "Sorgen machen" ... ich fand ihn versunken vor sich hinguckend an einem der Wasserläufe. Und bevor ich irgendwas erzählt hatte (wollte ich das überhaupt erzählen ... ihm oder irgendwem - doch nicht sogar einer anonymen Blogleserschaft?), begrüßte er mich mit: "Ist das hier nicht ein TOLLER Ort?!" Was natürlich gleich wieder nochmal total mystisch war. Und schön.


Dieses Pferd weiß es vermutlich auch, dass es an einem ganz besonderen Ort lebt. Zumindest lebt es dort völlig frei und ohne Zäune. Könnte überall hinlaufen: zur Straße, über die Pässe ... Bleibt aber da. Hat ja auch ungewöhnlich weitläufige Weide - warum sollte es auch nicht. Vor meiner Rumstreunerei sah ich es noch mindestens 500m und mehrere Brücken und Bäche von mir entfernt bei den Waldenser-Steinhäusern weiden.

Es sah mich beim Zurückkommen über die Wiese schlendern, setzte sich in Bewegung und kam direkt auf mich zu. Kann ich ja verstehen, dass so ein Pferd neugierig ist und jede Gelegenheit, ein bisschen was zu plaudern und Krauleinheiten einzufahren, auch nutzen will.

Trotzdem und weil ich mich mit Pferden und ihrer Mimik ja so gar nicht auskenne: mir war ein bisschen ängstlich da auf der Wiese. Schutzlos und ein Pferd trabt gezielt auf mich los. Zog auch den Rückzug auf einen Felsen in Erwägung. Dachte aber: "Total albern! Wer hätte schonmal was davon gehört, dass ein frei grasendes Pferd auf einer Bergalm einen Wanderer niedertrampelt ohne Grund?" Zudem sah es nicht ernsthaft gefährlich aus, das Pferd. Nur eben - wie Pferde nunmal sind für unbedarfte PferdeNichtkenner: stark, muskulös, bisschen beängstigend.

Es stoppte ganz dicht vor mir, die vermutlich - ich erinnere mich nicht mehr genau - irgendwelchen befrieden wollenden Quatsch brabbelte, der in Wirklichkeit nicht das Tier sondern mich beruhigen sollte. Sehr dicht vor mir. Bedrängte und schubbste mich auch mit dem Kopf an: "Los! Kraulen! oder Leckerchen rausrücken!" So ein schubbsender Pferdekopf hat Überzeugungskraft. Da steckt Power drin! Ich kraulte gehorsam los, das Pfers war's zufrieden, begann zu grasen und hörte sich als erster Zuhörer meinen Unsinn von "magischen Orten" und "Visionen" an. Aber wahrscheinlich haben auch Pferde Visionen und finden das ganz normal. Ziemlich sicher sogar.





vielleicht

irgendwann




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Daten für die Etappe: Refugio Jervis - Refugio Barbara Lowrie am 6. Juli 2012

Wanderzeit: 8:10 - 13:45 Uhr - extrem gemütlich, viele Pausen, Botanischer Garten am Colle Barant ...
Höhenmeter:   Ca. 700 ↑  (wegen leichter Etappenabweichung nicht exakt bestimmbar)  680 ↓
Distanz: ca. 10 km
Begegnungen:   unterwegs: mehrere (vermutlich) Tageswanderer, beim Refugio (per Auto erreichbar) einige rastende davon, wir waren die einzigen Übernachtungsgäste
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1 Kommentar:

Simone hat gesagt…

Liebe Lizzy, die letzten Tage fahre ich immer schon vor dem Büro und mit dem ersten Kaffee den Computer hoch, um zu sehen, ob wieder ein neuer Etappenbericht da ist! Herzlich Grüße aus Siebentischwald, Simone