Die Schlafkomfortstufe wieder hochgeschraubt, geht‘s am Wochenanfang mit dem Mobil in den Bayerischen Wald. Unter anderem geplant: eine 24 Kilometer lange grenzüberschreitende Wanderung, deren Track ich … ja wo eigentlich? … irgendwo im Internet gefunden habe.
Das Mobil nach einem komplett anders gelagerten Morgentermin geparkt am Wanderparkplatz Scheiben, wo ich noch vor halb zehn in der Frühe zur Tour aufbreche. Es geht bergauf. Viel und ziemlich steil. Gut, dass ich nur einen minimalistisch mit Wasser und einer Winzigkeit an Tagesverpflegung gepackten Tagesrucksack mitschleppen muss. Vermutlich unter 5kg wiegend.
Ein Stück entfernt behauptet mein Track, es ginge nun rüber bzw. runter auf tschechischer Seite. Und zwar dort, wo früher eine Hütte stand. Dieser Platz ist über ein Schild, das über die dortige frühere Hütte erzählt, gut auffindbar … aber weder ein Schild noch ein Weg an der Stelle oder in der weitläufig akribisch abgesuchten Umgebung, an der ein Weg sichtbar abzweigt.
Die gekaufte tschechische und offline vorliegende Topographische Karte zeigt dort auch keinerlei Weg oder Pfad … aber wer auch immer diesen Track erstellt hat, ist dort offensichtlich entlang gegangen. Nach wenigen hundert Metern sollte ich laut Karte auch auf einen wirklichen Weg treffen und beschließe, das kurze Querfeldein-Stück zu riskieren.
Das bedeutet hier ein Stolpern durch Farne, Disteln, Brombeergestrüpp, Heidelbeer- und Heidekrautsträucher und diversen Heckenbewuchs. Das alles wächst auf einem Untergrund, dem beim Durchhangeln nicht auf den ersten Blick anzusehen ist, ob der nächste Schritt auf Boden, Stein oder in einem Loch landet. Eine holperige und stolperige, die Klamotten verhakende und Faden ziehende Angelegenheit, die ich schwitzend aber mit heilen Knochen bewältige und bald einen Forstweg erreiche.
Die Höhenlinien der topographischen Karte liegen auf der Folgestrecke so dicht beieinander, dass mir klar wird: hier geht‘s gach (steil) bergab.
Erst jetzt stelle ich fest, dass der Track auf der Folgewischseite ein wunderbares Strecken- und Höhenprofil enthält. Äh … was bitte? … auf den 24 Kilometern sind fast 1.200 Höhenmeter in beide Richtungen zu bewältigen?! Leicht hysterisches Gekicher meinerseits … Könnte ich vielleicht mal lernen, im Voraus wirklich auch ALLE Infos gescheit durchzugucken … Jahre ist es her, dass ich eine solche Strecke gegangen bin … und ich habe bis jetzt ordentlich rumgetrödelt, bin… gerade erst bei Kilometer 3 kurz hinter dem höchsten Anstieg angekommen. Überschlage die Zeit und beschließe: bisschen flotter werden und es könnte noch klappen.
„Baummikado“ (diesen Begriff habe ich bei Christine Thürmer geklaut) der Extraklasse. Die umgestürzten Bäume müssen unter- oder überklettert werden. Umgehen unmöglich weil sich über weite Flächen der größte Teil des ehemaligen Waldes in der Horizontalen befindet. Auf Steilstgelände.
Aber: da unten ist eindeutig der „Schwarze See“ (Cerne jezero), zu dem ich als erstes möchte. Also weiterklettern. Und tatsächlich treffe ich bald - so nach ca. einem Kilometer Kletterei in fast einer Stunde - auf einen wirklich schönen Wanderweg, der neben einigen Wanderern auch von Tourenradlern genutzt wird. Ein Schild sagt mir deutlich, dass ich das, was ich soeben getan habe, nicht hätte tun dürfen.
Tja, sorry … zu spät … aber das Schild hätte auf die andere Seite gehört … nungut .. zugegeben … die Tatsache, dass dort keine Wege (mehr) waren, hätte mich auf die richtige Idee bringen können … aber nun … geistert womöglich eine etwas ältere Frau in schwarz-weißen Klamotten schwitzend und kletternd duch die Aufnahmen zweier Wildkameras (hier ist Luchs- und Auerhahngebiet - davon habe ich aber keine zu Gesicht bekommen), die ich unterwegs sah und zwar versuchte, nicht ins Kamerabild zu laufen … aber ich kenne den Winkel, den sie abdecken nicht. Sei‘s drum … zu spät! Bitte nicht nachmachen ;-)
Dasselbe gilt auch für den nahe gelegenen und über einen wieder nach oben steil ansteigenden Weg zu erreichenden Teufelssee (Certovo jezero), der in der Tat duster anmutend im Kessel mit am Hang allerdings weitgehend nur toten Bäumen liegt. Ein etwas irritierendes Bild. Borkenkäfer? Trockenheit? Vermutlich beides zusammen. Da es auch hier verboten ist, zu nah oder gar in das Wasser zu gehen, sich außerdem auch hier einige Wanderer und Radfahrer aufhalten, muss ich meine Hoffnung von vor dem Wissen des Verbotes auf ein Bad mit dem Teufel im See aufgeben. Angenehm wäre es gewesen denn ich bin mehrfach durchgeschwitzt und in keinem frischen Zustand mehr. Noch ist nicht einmal die Hälfte der geplanten Tagesstrecke geschafft und so halte ich die Pause an diesem bezaubernden See recht kurz.
Die Strecke bis zum Grenzübergang bzw. zum Bahnhof in Bayrisch Eisentstein verläuft durchgängig auf breiten Waldwegen stramm bergab. Ich gebe etwas Gas. Meine bis dahin weitgehend friedlichen Bänder, Gelenke und Muskeln melden sich im Wechsel zu Wort und auch die arthritische Wirbelsäule mit den angeblich schon drei versteiften Wirbeln und angegriffenen Nervenkanälen, die sich bis hierher gemütlich hat spazieren tragen lassen und die Strecke dadurch offensichtlich einigermaßen genießen konnte, fragt immer häufiger: „Wie weit ist es noch?“ oder „Wann sind wir da?“
Ab Alžbětín , im Tal des Großen Regen kann ich die schmerzenden Füße damit befrieden, dass ich ein Stück - mit Sandalen weil es doch sehr steinig, uneben und vor allem rutschig ist - in eben diesem Fluss Regen weiterwandere anstatt den parallel verlaufenden Pfad zu nutzen.
Mir graut vor dem letzten Teilstück ab Bayrisch Eisenstein, denn ab dort würden mich noch weitere acht Wanderkilometer mit einem weiteren Anstieg über mehr als 400 Höhenmeter erwarten.
Und wie ich am Bahnhof von Bayrisch Eisenstein - der tiefsten Stelle der Strecke - darüber nachsinne, ob es nicht eine mögliche Alternativen gibt, biegt ein Bus um die Ecke, dessen Aufschrift die richtige Richtung erhoffen lässt. Ein gnädiges Schicksal spielt mit! Busfahrer und Handy bestätigen mir die Annahme der passenden Richtung, dem Deutschlandticket auf dem Handy sei Dank steige ich ohne weitere Umstände einfach ein, genieße die steile Fahrt nach oben über Serpentinen mit viel Aussicht, einmal Umsteigen in der Nähe des Großen Arber und eine weitere kurze Busfahrt später steige ich direkt an meinem Wanderparkplatz beim Langlaufzentrum Scheiben aus dem Bus. Herrlich! Die knapp 16 gewanderten Tageskilometer mit ca. 700 Höhenmetern samt Kamikaze-Kletterei durch den Urwald sind für den heutigen Tag und mich mehr als genug!
Resümee:
- Die tschechische Seite des Waldes werde ich sicher noch häufiger aufsuchen, mich aber vorher hoffentlich besser über die korrekte Wegführung informieren anstatt mich auf irgendwelche gefundenen Wandertracks blind zu verlassen. Dort im Sumava warten viele interessante Ziele.
- Was mir schon vorher im Grenzgebiet z. B. beim Einkaufen aufgefallen ist: so ziemlich alle Tschechen in dieser Gegend sprechen ziemlich gut Deutsch (ich wurde auch auf dieser Tour mehrfach locker angesprochen und bei der Erkenntnis, dass ich des Tschechischen nicht mächtig bin, wechselten die tschechischen Sprecher auch höheren Alters nahtlos zum Deutschen) aber umgekehrt niemand auf deutscher Seite Tschechisch.
- Mein eigener tschechischer Sprachfundus beschränkt sich momentan nur noch auf „Dobrý den“ (Guten Tag), „Děkuji“ (Danke) sowie „ano“ und „ne“ (ja und nein). Das vor mehr als 30 Jahren aus Gründen gekaufte und im Regal verstaubende Buch „Tschechisch für Anfänger“ ist schon ausgekramt. Der Vorsatz lautet, dass ich mir so ca. 20 der gängigsten tschechischen Floskeln und Redewendungen ins Hirn prügele weil es doch überall besser ankommt, wenn man zumindest rudimentär höflich in der Landessprache kommunizieren oder wenigstens so tun kann als ob ;)
- Wie ich der Presse schon früher entnommen habe, besuchen nicht wenige tschechische Schüler:innen das Zwieseler Gymnasium und gehören dort regelmäßig - obwohl sie in einer für sie zunächst fremden Sprache lernen und arbeiten müssen - auch zu den jahresbesten Abiturient:innen. Erstaunlich, wie ich finde ich!
8 Kommentare:
Liebe Lizzy,
und wieder eine schöne Tour. Auch wenn sich manch eine nicht unwichtige Information boshafterweise auf Seite 2 der Information versteckt hat! ;D
Da fällt mir ein, dass bei mir noch eine Radtour zum Moldaustausee "offen" ist, weil ich sie heuer mal wegen zu viel Wind und brrrr nicht wie geplant gemacht habe.
Dass dir dein Tagesrucksack leicht wie eine Feder vorgekommen ist, glaub ich gerne. Nachdem du bei deinen letzten Ausflügen ja deine ganze Schlafstatt mit dir herumgetragen hast.
Schön, dass in dem Gebiet so auf den Naturschutz geachtet wird, auch wenn es ein Teufelsbad verhindert hat! Da möchte ich auch bald mal wieder hin...
Liebe Doris?
Seite 2? ähm … habe ich irgendwas falsch formatiert und meinst du damit einfach „am unteren Teil der Seite“? Ich hab‘ nur eine erstellt und sehe auch nur eine. hmm …?
Du kennst die Seen also? Und der Moldaustausee hat bei mir in GoogleMaps auch schon einen „Dötzel“. Genau wie die Moldauquelle und diverse Ziele drumherum. Leider ist so ein Berufstätigenleben mit auch noch familiären Baustellen und weiteren Hobbys schlicht zu kurz für alle.
Mal wieder mit dem Rad ausfliegen … gute Idee! Ziehe ich auch in Erwägung.
Nein, mit Seite 2 meinte ich die Folgewischseite mit der Angabe der Höhenmeter! ;)
Achso - Danke! … manchmal … oder relativ häufig … stehe ich auf der eigenen Leitung ;-)
Liebe Lizzy,
oder soll ich sagen Outdoor-Kamikaze-Jane?
Mich hätten solche Widrigkeiten einer ansonsten ja vorbereiteten Wanderung arg genervt und sicher zum Abbruch verleitet! Aber du bist echt hart im Nehmen und fummelst dich zur Not auch durch ärgstes Gestrüpp.
Dafür wurdest du belohnt mit schönen Eindrücken, Erleben einer neuen unbekannten Gegend und sogar Öffis als Retter in deiner Not!
Wenn der Enkel nur halb so pfiffig ist, wie seine Großmutter, muss man sich um den Jungen und seinen weiteren Werdegang keine Sorgen machen!
Liebe Grüße
Elke
Liebe Elke,
besonders der rettende Bus sei dankbar erwähnt - das sehe ich auch immer wieder so. Ohne den wäre der Tag weniger schöne Erinnerungen wert gewesen.
Alle drei Enkel sind selbstverständlich die klügsten und tollsten Kinder der Welt überhaupt. Wie alle Enkel:innen überall für vermutlich fast alle Großeltern ;) Was die Hormone der Pubertät dann mit ihnen anstellen … wird sich zeigen …
Liebe Lizzy,
oder soll ich schreiben: Power-Lizzy allein im Wald?
Boah eh, ob ich da durchs Unterholz weiter'gekrochen' wäre. Wahrscheinlich hätte ich außenherum noch stundenlang nach dem Weg gesucht. Du aber hast dich bravourös durchgekämpft und kannst ja nix dafür, dass das Schild dann am falschen Ende gestanden hat!
Muss schön sein, auf der tschechischen Seite. Hoffentlich findest du das nächste Mal besser die Wege, als dieses Mal! - Ansonsten ist es eine tolle Tour! Super gemacht!
Mal sehen, was da noch von dir zu erwarten ist!
Liebe Grüße Manfred
Manfred, dort es gab keinen Weg *s*
Tatsächlich bietet der Böhmerwald eine unglaublich große Zahl an Wanderwegen und interessanten Zielen. Frau sollte sich nur an die seriösen Quellen halten ,… das Problem war, dass ich konkret für die Gegend gezielt etwas über die Grenze suchte und wo es nix gibt, wird‘s dann wohl mal hakelig ;) Dabei gehören Bayerischer Wald und Böhmerwald geologisch ja eh zusammen. Nur, dass die Menschen meinten, durch dieses größte und älteste zusammenhängende Waldgebirge Mitteleuropas eine Grenze ziehen zu müssen. Andererseits … wer weiß, ob diese riesige Naturfläche ohne Grenze so relativ super die Bauboomzeiten nach dem Krieg überstanden hätte und immer noch so groß, weit und zusammenhängend wäre. Meine Vermutung ist: eher nicht.
https://www.bayerischer-wald.org/boehmerwald
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