Es gibt nicht viele ausgeschilderte Wanderziele in dieser Gegend. Zu den wenigen davon gehört das Santuari de la Mare de Déu del Mont. Ein weithin zu sehender exponierter und von unten nicht weit entfernt erscheinender Berg, auf dem Gebäude und Funkmasten zu erkennen sind. Und dieser wunderbar wohlklingende Name! Google spuckte eine zu Fuß bzw. Radentfernung von 19 Kilometern aus mit knapp 1000 Höhenmetern bergauf. Nur der Hinweg versteht sich. Zurück genauso weit und entsprechend bergab - zumindest das sollte dann doch von alleine rollen.
Mir ist bewusst, dass ich mich momentan nicht
eben in der besten körperlichen Verfassung meines irdischen Daseins befinde
sondern im Gegenteil gerade einem längerwierigen Leidensprozess wieder Schritt
für Schritt entfliehe. Beschließe: „einen Versuch ist es wert!“ und breche am eingermaßen
sonnigen wenn auch nicht völlig klaren Mittwoch gegen halb elf vom Campingplatz
mit meinem Klapprad auf in Richtung Berg.
Der Weg führt zunächst weitgehend eben mit
nur sehr leichten Steigungen über die schon bekannten Sand- und Schotterwege.
Durch Pinienwälder, blühende und duftende Rapsfelder voller Klatschmohn, Olivenalleen
und Olivenhaine.
Tendenziell bergauf. Sind die Erhebungen etwas
fordernder, steige ich ab und schiebe auch wenn ich es noch nicht müsste weil
ich es für eine gute Idee halte, die Beinkraft umsichtig und abwechselnd einzuteilen.
Eine sehr stimmungsvolle Steinkirche (leider
geschlossen, wie alle anderen am Wegesrand und auf dem Gipfel ebenfalls) mit
Alleezugang lädt zur ersten Rast. Der Weg ist relativ gut ausgeschildert,
lediglich zweimal muss ich mich per Handy orientieren bzw. auf halber Strecke eine Frau, die im Garten eines Aussiedlerhauses
Wäsche aufhängt fragen, welche Abzweigung ich nehmen soll.
Sie staunt mein Rädchen an und warnt, es
wäre steil dorthin. Als ich lässig behaupte, das zu wissen und kein Problem damit zu haben, wiederholt sie
mehrfach sehr eindringlich und begleitend steil
aufsteigende Serpentinen in die Luft zu malen, es ginge wirklich SEHR
steil hoch.
Die Serpentinen verlaufen durch buschig und
mit vielen Baumarten bewachsene Hänge, immer wieder meterhohe blühende
Rosmarinsträucher. Nur selten erhasche ich
einen Blick auf die Umgebung, die schon zurückgelegten Höhenmeter und erst ganz
am Ende der Strapaze auch auf das Ziel.
Lediglich an den Stellen, an denen körperlich
fittere Menschen als ich vor mehr als 1000 Jahren Kirchen und Klöster an den damals
vermutlich noch nicht mal geteerten Wegrändern bzw. in die Berghänge gebaut haben
(es ist mir immer wieder ein Rätsel, wie sowas insbesondere damals funktioniert
hat). Heute sind alle verfallen und verlassen. Lediglich die Kirchen noch
erhalten aber gut verbarrikadiert. Es sind magische Orte voller Flair und Ausstrahlung.
Rastplätze gibt es unterwegs keine, so dass ich mich auf die Ruinensteine der Klöster ausstrecke, um ab wieder Energie zusammenzukratzen für den Weiterweg. Denn mehr und mehr schwindet meine Zuversicht auf ein erfolgreiches Ende dieses Unterfangens. Immer wieder verengt sich mein Gesichtsfeld und das Blut scheint in die falschen Körperregionen wegzusacken vor Überanstrengung. Jede Faser meiner Klamotten ist schweißdurchtränkt. Sollte ich aufgeben? Vernünftigerweise vermutlich ja – aber da ist es wieder: dieses inwendige Sturheits-Selbstläufermonster, das jegliche Vernunft ausschaltet und mich wie ferngesteuert doch immer wieder dem selbstgesteckten Ziel entgegentreibt
In diesem Fall im schleichenden
Schneckentempo mit vielen Pausen. Zwei, maximal drei Stunden hatte ich
angedacht für den Hinweg. Es wurden fast fünf. .
Ich erwog, das Rad stehen zu lassen und den Weg zu Fuß fortzusetzen. – weit und breit gab es keinen Menschen, der es hätte klauen wollen dafür aber reichlich Gebüsch, es gut vor allen Blicken zu verstecke. Aber so schwer und unrund sich das Birdy schob … ich wollte nicht auf die Runterfahrt verzichten.
In all den Stunden begegneten mir nur wenige Menschen. Niemand zu Fuß, einige – vielleicht insgesamt zehn - Autos fuhren vorbei. Eine Motorradgruppe. Die Serpentinenstraße sieht aus, als würden streckenweise keine zwei Autos aneinander vorbeipassen. Ich sah zwar kein Verbotsschild aber mit Mobil würde ich mich die zehn Kilometer auf schmalstem Serpentinenteerweg nicht trauen.
Die erste Aussichtsplattform, die am Ziel erreicht wird, ist ein Platz mit Funkmasten und Sicht auf ein Restaurant mit Hotelbetrieb. Großartige Rundumsicht aber extrem ernüchternd stimmungstechnisch. Eine Treppe – trotz extremer Schwäche schleppte ich mein Rad mit hoch – erreicht man den eigentlichen Gipfel. Die Aussicht raubt trotz leichter Diesigkeit den Atem.
Hier befindet sich eine Kirche, Klosterreste mit
steinernen Torbögen und ein etwas entferntes winziges Gipfelkreuz vor Gipfelgrat,
das bei
meiner Ankunft vom Equipment
eines Filmteams umstellt ist. Ich beachte es zunächst nicht sondern strecke
mich auf einer der zwei Bänke unter den steinernen Klosterbögen aus.
Sofort ist klar: hier ist einer dieser besonderen Orte auf der Welt, an denen die spirituellen Schwingungen aller größeren Mächte der Universen Spuren hinterlassen haben oder noch weiterwirken.
Kaum liege ich ausgestreckt auf der Bank,
scheint alles Blut in mir in die merkwürdigsten Körperteile zu fließen. Auch
mit geöffneten Augen sehe ich fast nichts mehr, höre inneres Rauschen, Dunkeheit
macht sich breit und Lähmung. Ein Gefühl, als wäre ich trotz vollem Bewusstsein
ohnmächtig.
Ähnliche Zustände habe ich – selten zwar aber ab und zu – schon nach früheren körperlichen Überforderungen erlebt. Damals jeweils von Unsicherheit, Beklemmung bis hin zu Angstgefühlen begleitet. Diesmal fühlt es sich friedlich an. In die Dunkelheit des rauschenden Hirns wabert der Gedanke: „Das wäre jetzt mal echt ein stilvoller Ort zum Sterben.“
Dieser machtlose Zustand des Zerfließens dauerte vielleicht ein, zwei Minuten. Nach max. fünf Minuten fühlte ich mich wieder fit. Ging in Richtung Gipfelgrat, wo aber gerade wieder „Actióne!!“ die immer wieder gleiche Sequenz zu drehen versucht wurde: ein älterer und ein sehr junger Mann schlendern gemeinsam lässig miteinander den Gipfelgrad entlang.
Also schlendere ich meinerseits nicht – was
aber verschmerzbar ist, da auch von dort keine andere Aussicht als von überall
hier zu erwarten ist.
Ich lasse mir von einem sehr jungen und sehr viel Freundlichkeit und Begeisterungsfähigkeit ausstrahlenden Helfer des Teams, während er Getränkenachschub für den Versorgungsstand des Teams ranschleppt, erzählen , um was es bei dem Film geht: irgendwas mit Bergen :o) Ein Kurzfilm – oder einer Episode? Das habe ich nicht ganz entschlüsselt, die von Liebe versus Luxus handelt und in den Bergen spielt. Sowas wie der spanische Bergdoktor vermutlich.
Etwa eine halbe Stunde später begebe ich
mich auf den Rückweg. Einen Helm zu haben, wäre für das rasende Gefühl bei der
Abfahrt schön gewesen. Habe ich aber keinen dabei. So dürften die Bremsen des
Rädchen heute einiges an Profil verloren haben. Trotzdem ist der Höhenverlust
derart rasant, dass mir gelegentlich etwas waberig wird, die Ohren immer wieder
mit einem *Plopp* dicht machen, um einige Serpentinen später wieder aufzuknacken.
4 Kommentare:
Liebe Lizzy,
dieser Kraftort hat dich wohl so angezogen, dass dein Körper auf taub gestellt hat! Was für ein grandioses Erlebnis!
Gute Erholung. :)
Liebe Lizzy
Ich habe mitgelitten und mitgefühlt. Umdrehen geht eben nicht, da spielen innere Kräfte mit.
Aber der Weg war sehr schön, du hattest sogar noch Energie für solch wunderbare Bilder zu sichern. Dafür besonderen Dank.
Herzliche Grüsse
Trudy
(die geht jetzt haushalten und gärtnern)
Liebe Lizzy,
eine harte Nummer, durch die du dich gequält, nein, durchgebissen hast. Aber es war es wert!
Liebe Grüße
Elke
Hallo Doris, Trudy und Elke,
wie schön, dass ihr Lieben ein bisschen mitreist *zuwinkend* und ebenfalls grüssend
Lizzy
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