11 Mai 2020

Teufel, lieber Gott und heilige Helfer im bayerischen Wald - Spuren und Naturen der Vergänglichkeit



Was vielerorts aus dem Alltag und Denken von uns Menschen verbannt ist: die Gewissheit der Vergänglichkeit, die Ungewissheit des Todeszeitpunktes, gefühlt komnt er oft zu früh mit seiner Sense daher; die Tatsache, dass auch der Mensch nur einen Wimpernschlag lang Gast auf Erden sein darf, das alles wird im Bayerischen Wald jedem Einheimischen, jedem Besucher und erst Recht dem Wanderer nicht nur an religiösen Stätten immer wieder vor Augen geführt. Die Präsenz dieses Wissens und Bewusstseins ist dort eindeutig überdurchschnittlich verbreitet.



Hart war das Leben zu früheren Zeiten im Bayerischen Wald, kälter und einsamer als an den meisten Orten Deutschlands ist es dort noch immer. Und noch immer werden  Totenbretter zum Gedenken an die Verstorbenen, Gedenksprüche und diverse Kapellen und Andachtsstätten an den Wegesrändern errichtet.

Religiöse Inhalte prägen die von Menschen errichteten Stätten, in fast allen Volkssagen mischt maßgeblich auch der Teufel mit, nach dem in wohl jeder Gegend das ein oder andere Naturschauspiel benannt ist.
 


Ein wenig hart aber auf jeden Fall mit einer kleinen Grenzerfahrung endete auch meine insgesamt traumhafte Wanderung von Bischofsmais über Landshuter Haus, Einödriegel zum Teufelstisch.

Erst nach 14:00 Uhr und ein wenig erschöpft von mehreren Enkeltagen und -nächten und dem Rücktransport der Kinderschar im Wohnmobil am Vormittag, so startete ich am Samstag  eine umgeplant kleine Wanderrunde ab Bischofsmais. Für die ursprünglichen Planungen schien es mir zu spät und das Wetter zu instabil geworden, so dass ich umdisponierte, nur bis Bischofsmais fuhr in der Annahme, dort eine Wanderrunde spontan vor Ort aussuchen und den Verlauf downloaden zu können.

Noch ein typisches Merkmal des Bayerischen Waldes: die Mobilfunkverbindungen sind an vielen Orten miserabel bis nicht vorhanden. So auch in Bischofsmais, wo ich angesichts der vielen auf Schildern ausgewiesenen Wanderwege letztlich auf digitale Absicherung verzichtete und -  das Wohnmobil auf einem Wanderparkplatz am Ortsrand parkend - zur vielversprechend klingenden Wallfahrtsstätte St. Hermann  aufbrach. Eine kurze Erfrischung am heiligen und laut Legende heilenden "Wasser des Lebens" und einige Besinnungsminütchen in der Wallfahrtskapelle später folgte ich jeweils denjenigen Wanderschildern, die interessante Ziele versprachen. Einen groben Überblick hatten mir die Wandertafeln verschafft.


 Einige erschöpfende Höhenmeter später, vorbei an einer früheren Einsiedelei, dem schon aus frührerer Laufrunde vor zwei Jahren von anderer Seite aus bekannten wunderschönen Landshuter Haus, vor dem sich trotz Schließung desselben die Radlergruppen nur so tummelten und in der Sonne rasteten, wählte ich einen wieder einsamen reinen Fuß-Wanderweg zum Einödriegel.


Wanderern begegnete ich unterwegs nicht (es ging nur schon auf den späten Nachmittag bzw. Abend zu).


 Federnd weiche Waldböden, bizarre Baumgebilde und Steinformationen, extrem intensive Düfte nach Walderde, Waldmeister und Tannennadeln, zwischendurch und am Gipfel herrliche Weitblicke - die Wanderung ließ keinen Wunsch offen.


 Der Himmel zog zu, für den Abend waren örtliche Gewitter gemeldet; in der Ferne hörte ich seit einiger Zeit Donnergrollen. Nach dem Abstieg vom Einödriegel hätte ich direkt zum Wohnmobil gehen können. Und auch sollen? Vielleicht bis wahrscheinlich "ja".

 Andererseits; der "Teufelstisch" auf anderer Höhenseite bildet die hier meistgenannte und als sehr sehenswert angepriesene Felsformation und ist nur einen wenige Kilometer kurzen Abstecher entfernt. Dafür den morgigen Tag zu verwenden, erscheint mir wie Zeitverschwundung und für heute bedeutet der kleine Zusatzweg maximal zwei bis drei zusätzliche Kilometer.


Die meisten davon natürlich bergauf. Anfangs ein bequemer Spazierweg, wird es später felsiger. Das Gewitter zieht eindeutig näher und just bei Erreichen des - im übrigen sehr weitläufigen und über eine relativ lange Wegstrecke sich ziehenden - Teufels Tisches ... erreicht mich auch das Gewitter.

Nicht, dass ich abergläubisch wäre ;-) iwo! ;-)  Aber so ein klitzekleinesbisschen .. wird mir doch blümerant zu Mute, so dass ich in Joggingtempo verfalle - um nicht zu sagen: ich renne, als wäre der Leibhaftige hinter mir her, denn ich beabsichtige  nicht, heute - vom Blitz erschlagen - als Satansbraten auf dem Teufelstisch zu landen.

Bei all der Eile muss ich vom Wege abgekommen sein. Keine Markierungen mehr zu sehen, die ihn mir weisen könnten. Danach, den langen Weg auf der Höhe nochmal rückwärts abzulaufen, ist mir aber ganz und gar nicht. so dass ich mir sage: "Du musst hier runter - und das in diese Richtung".

Gedacht, getan! ... kraxele ich kurz darauf durch felsiges Gelände mit weichen, einsackenden Erdinseln, Farnen, dornigem Gestrüpp, Felslöchern, die häufig eindeutig auch bewohnt sind. Ich entschuldige mich gedanklich und streckenweise murmelnd bei den für mich nicht sichtbaren Waldbewohnern für die sicher ungewohnte Störung, schliddere, nass regnend über nass geregnete Steine, hangele mich durch Gestrüpp, das mir die sockenlos in Barfußschuhen steckenden Beine zerkratzt und wundere mich einmal mehr - es ist nicht das erste Mal und wird das letzte nicht gewesen sein - wie ich es auch auf ausgeschilderten Wegen immer wieder schaffe, von selbigen abzukommen und in brenzligen und ungemütlichen Situationen zu landen.

Irgendwann erscheint wieder ein gerölliger Pfad, zu dem ich mich durchkämpfe und der am Ein- bzw. für mich Ausgang als "schwierig" markiert ist. Nun - zumindest war er nicht annähernd so schwierig wie das komplett wegfreie Gekraxel in Wald und Wildnis.
 

Am Ende der Wanderung entschädigen mich Regenende und Regenbogen für die vorherigen Mühen. Es geht auf 20 Uhr zu als ich das inzwischen alleine auf dem Wanderparkplatz stehende Mobil erreiche, mir darin ein Radler und eine Stärkung genehmige, gegen 22 Uhr ins Bett kraxeln möchte ... und erst jetzt die eigentliche Grenzerfahrung des Tages erleben muss.

Aus dem Nichts eigentlich nur leicht müde gefühlter Beine schlägt ein aus der Lendenwirbelgegend,  über die Hüfte verlaufender und sich schließlich mit Macht in den Adduktoren ausbreitender Krampf zu. So heftig, dass ich nicht in der Lage bin, mich aufrecht zu stellen. Jeglicher Versuch, das Krampfgewitter zu stoppen, schlägt fehl. Mit Schweiß auf der Stirn und heftigster Übelkeit vor Schmerzen hangele ich mich gebückt ins Freie. Dunkelheit um mich. Menschenleere. Wie ein Wurm winde ich mich, muss mich hinsetzen, kämpfe mich wieder auf die Beine, absolviere die vermutlich abstrusesten Verrenkungen ... bis die Schmerzen schließlich nachlassen und ich mich erschöpft mit der Stirn ans Gefährt lehne.

Will gerade aufatmen als das Blickfeld sich verengt, die Nachtschwärze zur Komplettschwärze mutieren will, sich gleichzeitig ein dicker Pfropf auf die Ohren zu legen scheint, der Kopf, Hirn und Ohren von der Außenwelt abschneidet. Das Blut sackt gefühlt irgendwohin - nur nicht dahin, wo es gehört.

Es erstaunt mich in Nachhinein, dass das Hirn bei alledem noch am besten und ziemlich reibungslos funktioniert. Was zwar nicht gar so viel bringt, wenn die restlichen Sinne den Dienst quittieren. Aber immerhin. So denkt das Hirn nun u. a.: "Gut, dass der Gatte meine iDinger tracken kann", "Da will der Deifi, der alte Sack, mich also doch noch auf die Schippe nehmen!" und "Von wegen: Wasser des Lebens! Dass ich nicht lache .."

Gefühlte Ewigkeiten aber real vermutlich nur einige Minuten später lichtet sich das Dunkel wieder, auch das Gehör wird klarer. Der Kreislauf meldet sich zurück. Nicht einmal der Umstand, dass in den ersten Sekunden von innen und nicht aus der Umwelt kommende Piep- und Pfeiftöne zu hören sind, ficht mich an. Hauptsache Gehör!

Lang hat sie nicht gedauert, die Episode. Aber lang genug, am eigenen Leib zu erfühlen, wie schnell der Boden unter den Füßen weggezogen werden kann - und mir ist klar, dass solche Episoden auch anders ausgehen können und irgendwann einmal auch für mich eine schlussendlich endlich ausgehen wird.

Für diesen Tag aber schnell noch was getrunken - war auch etwas wenig davon den Tag über und etwas viel zuviel an erschöpfenden Aktionen (für mein Alter ;), keine Frage - und ab ins Wohnmobilbett zu traumlosem, achstündigem Tiefstschlaf.


Den Sonntag - ein Sonntag, an dem ursprünglich der - nun wie alle anderen geplanten Läufe auch ausfallende - Schluchseelauf im Schwarzwald geplant war, möchte ich entsprechend ruhig angehen. Entscheide mich für eine knapp einstündige Fahrt ins südlicher gelegene Dreiburgenland, wo die Schrottenbaummühle schon seit längerem auf meiner Liste der geplanten Ausgangsorte für Wanderungen und Läufe steht.


Goldsteigetappen, Triftsteig und eine Vielzahl von Wander- und Radwegen stehen hier zur Auswahl. Orte, die mich locken, Burgen, Schlösser und spirituelle Ziele locken allerorten. Weil ich mir sofort sicher bin, hier - sofern es in meiner Macht steht - weitere Aufenthalte absolvieren zu wollen, bleibe ich für heute gemütlich und bescheiden.


Bei zunächst bedecktem Himmel und später leichtem Regen spaziere ich am Fluss entlang, genieße den Weg extrem. Schlendere, grüße andere Wanderer und Radler, drehe irgendwann um, kaufe mir im Gasthaus eine Mitnahme-Brotzeit samt Getränk und verputze beides im Wohnmobil. Das Regenradar verheißt ein Regenende in ca. einer Stunde, so dass ich nach einem Kaffee ein Nickerchen beschließe.

1,5 Stunden später werde ich wach von der Wärme im Hochbett. Die Sonne brennt mir auf's Hochdach - vermutlich seit mehr als einer Stunde schon - um mich herum und gegenüber sind viele geparkte Autos dazugekommen - ich habe nichts gehört, also nochmal tief und murmeltierfest geschlafen.


Jetzt ist mir nach einem Laufründchen. Wieder fit! geht's bzw. läuft's in anderer Richtung entlang des Ilztal-Wanderweges, vorbei an bunten Blumenwiesen, einem Schloss ...


... kleinen Abstechern ...


.... auch auf die umliegenden Höhen ...


... mit weiten Ausblicken ...
 ... herrlichen Frühlingsmotiven ...


... entlang der idyllischen Naturschönheit "schwarze Ilz" ... 

Wandernd, joggend, knippsend, Füße badend und genusspausieren endet ein rundum runder Sonntag in wieder einem  nochmal ganz anderen Teil des abwechslungsreichen Bayerischen Waldes.


*  *  *

1 Kommentar:

Jörg hat gesagt…

So ein bißchen macht mir ja dein Anfall Angst. Andererseits bin ich auch immer wieder begeistert über deine Ausflüge. Bleib gesund.

Jörg