01 Mai 2007

la montanara, ohè!

* * *
Da stehen wir nun: Samstag um 5:30 Uhr in München losgefahren, findet sich ein Trupp aus zwei Alpenvereins-Klettersteiglehrern und ihren sieben Zöglingen nach einer flotten Fahrt über den Brenner, einem fast noch flotteren Bezug der Pensionszimmer schon am späten Vormittag des Anfahrtstages vor einem Übungsfelsen wieder.

(Nebenbemerkung: bei vielen Bildern lohnt es sich, sie großzuklicken. Details lassen sich im Kleinformat oft gar nicht erkennen)




Als alle kapiert haben (oder so tun) wie man sich das "Geschirr" anlegt und gegurtet, behelmt und zumindest was mich angeht mit mulmigem Gefühl in der Magengrube hergerichtet sind, heißt es, einige "kleine Übungen" am Felsen zu bestehen.





Gleich bei der dritten Übung - ein ziemlich glatter ca. 15 m hoher Felsbrocken sollte - noch nicht per eigener Klettersteigausrüstung gesichert, sondern über ein Seil von oben gehalten - erklommen werden, baumelte ich einen Moment lang völlig eigenhaltlos am Felsen entlang, bis ich wieder einen Tritt fand. Mir war übel, mein Mut schwand - wenn es auch ein gutes Gefühl war zu erkennen, dass die Sicherungsseile wirklich halten.




Genug geübt - ebenfalls noch am selben Tag sollte der erste Übungsklettersteig angegangen werden. Schwierigkeitsstufe: "leicht".

Volker witzelte beim Gang durch die Straßen: "Gucktmal, das da isser sicher, der erste kleine Steig. Da müssen wir hoch!" ... Was haben alle gelacht ... bis sich herausstellte: Volker hatte blind getroffen. Dort sollte es hochgehen. Den
Via Ferrata Colodri




Keine Zeit wurde verloren und ich fragte mich schon bald mehrfach, welcher Teufel mich geritten haben mag, als ich mich zu einem Klettersteigkurs angemeldet habe. Ich, die nichtmal in ihrer Kindheit auf Bäume geklettert ist. Die Höhenangst hat und alles andere als schwindelfrei ist.




Was macht so eine (die mit dem weißen Helm + blauem T-Shirt + heller Weste) hier in dieser verdammten Felswand? Bei manchen Passagen mit schlotterden Händen und Beinen und Panik in jeder Körperfaser.

Es tröstete mich auch nur wenig, dass die Ausrüstung mich bei einem möglichen Absturz auffangen würde. Was für eine Aussicht: an einem mehrere Meter langen Seil mit Karabinerhaken - eingehängt an Drahtseilen in der Wand - über einer Schlucht an Felswänden zu baumeln, bis sich vielleicht mal irgendwer bequemt, mich (wie eigenlich?) zu retten ...





So ein Körper gibt sich aber schon Mühe, die Gefahr zu minimieren. Indem die Aufmerksamkeit und Konzentration maximiert wird und es irgendwie immer wieder klappt, die Angst auszublenden.


In meinem Kopf formte sich in besonders kritischen Situationen - kein fester Fußhalt zu finden, die Abstände zwischen den Passagen zu groß, die Hände müssen immer wieder loslassen, um die Karabiner umzuhaken und alles hängt an einem Punkt ... gelegentlich automatisch der Text aus dem Lied: "Wenn wir erklimmen, schwindelnde Höhen ..." und zwar immer nur die eine Passage - wie eine Platte, die einen Sprung hat - "mit Seil und Hacken, den Tod im Nacken, hängen wir in der steilen 'Wand ..." und was ich mich beim Laufen noch nie ernsthaft gefragt habe, HIER tat ich es desöfteren: "WAS ZUM TEUFEL MACHE ICH HIER EIGENTLICH?" ... und vor allem: "WARUM?"




So kurz nach dem Ausstieg fiel mir das Lächeln noch etwas schwer - später ging's dann schon wieder und der folgende recht gemütliche und komplett ungefährliche Wanderweg zurück nach Arco war geeignet, den Adrenalinpegel wieder auf erträgliche Maßen herunterzuregeln.




Immer noch der erste Tag - aber Erlebnisse für viele, so kam es mir vor. Dazu jetzt die aufkeimende Abendstimmung im mediterran anmutenden Gardaseegebirge. Warme Sommerluft, Zypressen, Olivenbäume, Falter, Eidechsen ... es gab viele genussvolle Momente.




... und abends natürlich jeweils die Nachbereitung des Tages in wechselnden Restaurants incl. Vorbereitung und Einstimmung auf den nächsten.





Der nächste Tag sollte zwei weitere Klettersteige bezwingen. Bzw. sollten wir das tun - der Kurs. Und ich mittendrin.

Mit etwas angehobener Schwierigkeitsstufe natürlich. Mir war flau. Dazu schmerzte mein Knie. Vor Wochen beim Wandern verdreht, muckt es immer mal wieder. Aber die Steigerei machte ihm so richtig zu schaffen und auch die umgebammelte Bandage konnte es nicht gänzlich rausreißen.

Trotzdem: auf zum "Via Ferrata
Fausto Susatti.



Der Wanderweg dorthin war schon wunderschön. Herrliche Weit- und Aussichten (wenn auch leider bei ziemlich trübmilchiger Luft) auf den Gardasee, im Gebirge klebende Dörfchen, Flüsse, Burgen ... ein Traum! Dazu wieder bunte Echsen, Schmetterlinge, Blütenmeere ...


... aber eben auch wieder: Felsen Felsen Felsen. Zunächst noch so, dass wir geübte (Harhar) Klettersteiggeher natürlich noch ohne Ausrüstung drüberhüpften wie die Gemsen.




Aber irgenwann wurde es wieder ernst. Helm auf, Geschirr angeschnallt, kontrolliert und auffi geht's!


Höhenmeter an glatten, scharfen, engen, vorstehenden, in Rinnen verlaufenden Felsen. Wieder Momente der Angst - aber schon weniger als gestern. So ein elender Körper gewöhnt sich ja doch.


Dann eine unvermeidliche heftig abgewinkelte Belastung des linken Knies und *SCHREI* ... standen mir die Tränen in den Augen. Bei nächster Möglichkeit hockte ich mich auf einen Fels, bersorgte Frager konnte ich vertrösten: "Nix schlimmes, geht gleich wieder. Ist nur das Knie!" Achso - nur das Knie *puh* ... stimmt! im Fels könnte es schlimmere Probleme geben.






... und immer immer höher ....


Geschafft - und sogar das Knie hat sich wieder beruhigt. Nicht 100%ig - aber seit dem ekligen heftigen Schmerz in der Wand ist es - verstehe es wer will - besser als die letzten Wochen vorher.


Diese Aussicht auf's "Vanillekipferl" zwischen Riva del Garda und Torbole genießt nur, wer vorher Klettersteig geklettert ist.

Hier gibt's für mich - über Kerstins Kopf hinweg ;-) das versprochene Gedenkminütchen und durch die Luft geschickte Kraftwünsche zu
Manu an die Ruhr, die eben jetzt ihren Marathon laufen müßte.



Der Abstieg erfolgt durch Schützengräben des ersten Weltkriegs über den Klettersteig
"Via ferrata Mario Foletti"


Diese doch meist ziemlich waagerecht über glatte Felswände verlaufenden Metalltritte schocken schon kaum noch. Dafür schüttet das Hirn keine neuen Hormone aus - die Reste von eben müssen reichen.





Aber schon auf dem Rückweg erfahren wir, dass am Folgetag noch ein paar Kohlen draufgelegt werden sollen. Nächster Schwierigkeitsgrad und viele "Schwindelpunkte", ein paar neue "technische Tricks", Leitern und einiges mehr wird angekündigt.


Mir ist doppelt flau. Trotz angenehmen Abends in gemeinsamer Runde schlafe ich schlecht. Wache stündlich auf, um panikartig nach meiner Uhr zu greifen, draufzustarren und mit einem erleichterten: "Puh, ein Glück - ist noch nicht so weit!" in die nächste Schlafstunde zu fallen.

Beim Frühstück sehe ich ein äußerst beeindruckendes Foto in einem Klettersteigführer vom für heute geplanten
"via ferrata Gerardo Sega".

Alles in mir sträubt sich mit Macht. Irgendwas will nicht. Am liebsten würde ich den Steig von gestern nochmal gehen. Mir geht das alles zu schnell.

Dabei bin ich fit, fühle mich körperlich gut. Sogar das Knie gibt Ruhe.

Die stundenlange Wanderung zum Einstieg verbringe ich mit dem Versuch, nicht an den Steig und meine Angst zu denken. Inzwischen habe ich erkannt, dass ich gerne vorne gehe. Sowohl bei Wanderungen als auch beim Klettersteig. Sollte ich jemals abstürzen, dann weil ich zu huschelig war. Ständig werde ich gemaßregelt, dass ich langsamer machen und konzentrierter gehen soll. Ich bin trittsicher, flott, es fehlt nicht an Kraft und Ausdauer. Aber wenn es brenzlig wird und die meisten zögern, dann fange ich an, es schnell hinter mich bringen zu wollen und überhaste die Stellen: "Je eher daran, desto eher davon." was natürlich beim Klettern ziemlich flott in die Hose gehen kann.




Einen Blick auf die südamerikanisch anmutenden Felsturmformationen gigantischen Ausmaßes können wir schon vor dem Zustieg erhaschen und mir wird das Herz immer schwerer.

Lustlos packe ich meine Ausrüstung aus, als hinter mir eine andere Teilnehmerin sagt: "Sorry Leute, ich geh' zurück! Ich geh' heut' nicht mit. Ich brauche mehr Zeit für die Steigerungen."

Selber gesagt hätte ich es nicht - zu feige wahrscheinlich. Aber sie sprach mir so sehr aus dem Herzen, dass ich fast jubelnd aber zumindest völlig lässig sagte: "Gute Idee, ich bleib auch draußen und geh mit zurück."

Keiner versuchte, uns davon abzubringen. Das war auch vorher so besprochen: Jeder muss immer selber entscheiden, was er sich zutraut.



Von diesem Tag und Klettersteig hat Volker (der alle Touren ohne einen Hauch von Schwierigkeit durchspazierte als handele es sich um Kindergeburtstage) so viele so ungeheuerlich herrliche Fotos mitgebracht, dass ich mich dann doch wieder ein bisschen über meine Entscheidung ärgerte. Aber nur ein bisschen. An dem Tag war ich nicht bereit für eine neue Steigerung und brauchte die Pause.

Ich zeige hier nur das eine Bild (s. o.) als kleine bescheidene Vorstellung dessen, was mir entgangen ist (erspart wurde?). Die anderen sind um Längen grandioser. Aber es wäre fremde Federn, finde ich ...



Diejenigen, die den Steig gegangen waren, erzählten - als wir uns in einer Berghütte wiedergetroffen hatten - von ganz neuen und unsagbar andächtig machenden Eindrücken unterwegs.



Wenn der Alpenverein einen Kurs gibt, dann ist auch der Abreisetag noch Unterrichts- und Klettertag. Hier wird einem nix geschenkt.

1. Mai: die Pension wurde geräumt und nach einem letzten dortigen Frühstück macht sich eine um zwei Personen reduzierte Mannschaft (die beiden mußten aus zeitlichen Gründen früher los) auf dem Weg zum Abschlussschmankerl, dem Canyon-Klettersteig "Rio Sallagoni".

Wieder etwas komplett anderes. Jeder Tag bot Klettersteige, die bewiesen, dass man bei diesem Wort noch lange nicht weiß, was einen erwartet. Es gibt massenhaft unterschiedliche Ambiente, Möglichkeiten, Lokalitäten, Schwierigkeiten.

Wir beiden "Kneiferinnen" von gestern wurden beäugt und vorsichtig darauf hingewiesen, dass der Canyon zwar nicht so große Höhen böte, aber technisch noch um einiges schwieriger sei als der Steig gestern. Beide schnallten sich unbeirrt weiter ihre Ausrüstung an.



Für mich kam ein neuerlicher Ausstieg nicht in Frage. Einmal aussetzen: Okay! Aber ein Abbruch in der Mitte: NEIN! Nix da!






Einer der beiden "Lehrer" wies mich - die kleinste noch verbliebene Anwesende - darauf hin, dass der Steig unter einer Größe von 1,60 m nicht begehbar sei. Da dann die Trittabstände nicht zu erreichen sind. HA! Da habe ich mit meinen 1,63 m doch glatt 3 luxoriöse verschwenderische Zentimeter übrig!.

Auch Volker - der mir zwar nie reinredet und immer Vertrauen in mein Können hat - hatte einige Bedenken. Fragte, ob ich keine Angst mehr vor der Angst habe? Doch! Hatte ich. Sagte ich auch. Mit dem Zusatz: "Aber nützt ja nix. Heute geh' ich da rein und basta! Wenn's nicht klappt, müßt ihr mich eben hinterher aus dem Canyon kratzen."





Mir wurde an diesem Wochenende mehrfach der Wortsinn des Begriffes: "Todesverachtung" bewußt. Denn genau die legte ich mir am Schluß zu und hangelte mich durch den Einstieg mit seinen glatten, nach innen ausgewaschenen Wänden.






Es zeigte sich, dass das mit dem "mindestens 1,60 m Körpergröße kein Witz war" An einigen Stellen kam ich kaum an die nächsten Tritte ran, erreichte ebenfalls nur knapp das Halteseil und wenn ich dann mit einer Hand die Karabiner in den nächsten Abschnitt klicken mußte - die einzig verbleibende Haltehand ob des Gewichts also verkrampfte - dann wurde es manchmal doch spannnd.






Die anderen waren alle größer. An dieser Stelle hatte ich - leider nicht dokumentiert durch Fotos - einen Moment ganz auf Beinhalt verzichten und mich blind auf drübigen Halt vertrauend um die Felsnase schwingen lassen müssen: Todesverachtung (und doch auch wieder ein Quentchen Panik ;-) und natürlich im Nachhinein: Muskelkater.





Hier gab's eine Art "Übungs-Drahtseil" über eine Schlucht. Wer wollte, konnte dort auf einem Einzelseil mit Arm- und Karabinerhalt an zwei weiteren Drahtseilen, eine wackelige Überquerungs-Hangelei veranstalten. Ich hab's mir gespart und die anderen fotografiert. Daneben war nämlich eine "Umgehungstreppe", die man mit gleichem Ziel einfach hochlatschen konnte. Und in dem Moment war mir wieder nicht nach Heldinnen-Spielerei, wo es gar nicht nötig ist. Wäre die Treppe nicht dagewesen: kein Problem - wäre ich über's Seil gehangelt. Aber so: Nö - so nicht!.





Dann ging's immer weiter durch die Schlucht. Aber moderater. So ganz normalglitschige Felsen von nur ein paar Meter Höhe nimmt die Gruppe inzwischen im fast-Laufschritt und ohne Sicherung durch unsere Ausrüstung. Da hangelt man sich doch witzelnd durch die Wasser, glitschigen Steine, Drahtseile. Vorbei an einem irritiert flüchtenden Feuersalamander, Felsbrocken und zum Schluß in die Schlucht reingeworfene Müllansammlungen. Wie romantisch :o)


Tja - das war's. Mittags wieder rausgekraxelt aus dem Canyon ans Tageslicht, beendete ein gemeinsames Picknick das Gruppenerlebnis und alle begaben sich wieder auf die Autobahn gen München.

Resümé: Super war's! Mit Sicherheit werde ich in diesem Leben keine Bergsteigerin im Hardcoresinne mehr. Aber so viele innere Grenzen wie ich Schisserin an diesem Wochenende überschritten habe, hätte ich mir niemals vorstellen können. Trotz dem einen Aussetzer hat sich alles gelohnt. Oder vielleicht sogar auch deswegen. Die Grenze zu erkennen, die noch nicht eingerissen werden will, ist auch keine nutzlose Erfahrung, finde ich.

Das Gelernte wird aber zunächst an leichteren Steigen in der Praxis geübt. Erstmal ist demnächst der "Mittenwalder Höhenweg" dran. Der soll ganz und gar einfach sein. Zwar mit voller Ausrüstung zu gehen. Vom Schwierigkeitsgrad aber an untersteter Klettersteigstufe. Mir reicht das. Zu wissen, dass ich jetzt auch mehr kann als "normale Bergwanderungen" (die ich trotzdem weiterhin unternehmen und lieben werde). Tolles Gefühl ist das schon!

Aber jetzt wird (so mein Knie will) erstmal wieder gelaufen ;-)


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