2. Juli 2013 - von Bassura über Palent nach Celle di Macra (Ortsteil Chiesa)
Natürlich sind sie erstmal da: die Erwartungen und Vorstellungen zu dem, was uns erwarten wird. Verbunden mit und entstanden auch aus den Erlebnissen und Erfahrungen des letzten Jahres. Die Neigung des Menschen, das Erinnerungsvermögen einer Sonnenuhr entsprechend funktionieren zu lassen, trägt ein übriges dazu bei. Und zwar dazu, nicht vollkommen frei von vorgefassten Erwartungen und Bildern auf die diesjährige Strecke zu gehen. Sondern natürlich nur das Schöne und Herausragende, das Heitere und Gemütvolle - eben die schönen Stunden in froher Erwartungshaltung auf sich zukommen zu sehen.
Der Morgen verheißt Erfüllung aller Erwartungen. Begrüßt mit vertrauten Bildern von schmucken und verfallenden Häusern, Heiligenbildchen an Hauswänden, sich über die mitgebrachten ALDI-Leckerchen freuende Katzen (nötig hätten sie das nicht gehabt - dieses Jahr begegnen uns weitgehend nur bestens versorgte Tiere. Aber nun sind eben diese Haustierleckereien ins Gepäck gewandert ... ;), Sonne, leckeres Frühstück, eine Küchencrew, die angesichts der beim Bezahlen nochmal eindrücklich vorgebrachten Lobeshymnen freudestrahlend schnell in die Küche sprintet, zwei Stücke Kuchen einwickelt und uns umsonst mit auf den Wanderweg gibt. Prima geht's los.
Zitat des Tages von Volker (stöhnend): "Oh Scheiße, jetzt geht das wieder los mit dieser zwanghaften Fotografiererei!" Ja, aber echt! Ätzend! Bringste nicht fertig, das sein zu lassen.
Ein erstes Wegstück führt entlang der Straße. Vorbei an Kirchlein und den vielen hübschen Brunnen mit klarem frischem Bergwasser, die zum Trinken einzuaden scheinen.
Loslassen! Lass die Vorstellung von dem, was hätte sein können oder was erwartet war, einfach los. Und geh' über diese verdammte blöde Brücke über den Fluss, die an Hässlichkeit kaum zu überbieten ist *grummel*
Kaum rüber über den Fluss windet sich der Weg über allerdings einigermaßen komfortable Waldwege in bewaldeten Berghängen aufwärts. Die Luft ist drückend und schwül, der Schweiß rinnt schnell in Strömen am Körper hinunter, Aussichtspunkte erscheinen spärlich und wenn, dann nur kurz. Es wandert sich zäh. Weit und breit keine Berge und schon gar kein Hochgebirge in Sicht.
Lange Strecken durch waldige Passagen, nur selten eben und erholsam. Irgendwann nicht oder schlecht ausgeschilderte Weggabelungen, ein erneuter Umweg, Suchen nach Zeichen und Kartenübereinstimmung (gps-Tracks haben wir für die ersten drei Tage mit Gehvarianten keine) und die erste Erkenntnis: auch so routinierte Piemont-Kartenlesprofis wie wir sind mitnichten vor Verirrungen gefeit.
Bedeutsamer noch die zweite Erkenntnis: auch zwei im Alltagsleben seit vielen Jahren durchaus harmonierende Menschen können ab und zu aneinander vorbeikommunizieren und damit der sowieso vorhandenen zusätzliche Verwirrungen hinzufügen.
Insbesondere dann, wenn jeder zu wissen glaubt, was der andere denkt, fühlt oder ausdrücken möchte. Womöglich, ohne dass er das auch explizit getan hat. Ein guter Test ist das: "Wie gut kenne ich meinen Partner und wie effektiv kommunizieren wir miteinander."
Denn: in der Zivilisation, in vertrauter Alltagsumgebung ist das noch leicht, da kanns fast jeder ... oder bildet sich zumindest ein, das zu können und zu wissen und zu verstehen. So richtig ernsthaft überprüft wird's da ja selten, wenn keine Konsequenzen drohen bei Schieflage ... aber was, wenn das Gesagte, Gedachte, Gefühlte und vor allem auch das nicht-Gesagte Einfluss darauf hat, wann, in welchen Zustand und ob überhaupt man beim Tagesziel ankommen wird.
Es kann - und ich bezeuge das für den hier geschilderten Tag - auch vorkommen, dass beide Partner - trotz schon leicht gereizter Grundstimmung aufgrund diverser Misslichkeiten, Pannen und Fehlentscheidungen - gegenseitig aufeinander Rücksicht nehmen wollen, dabei das beim anderen vermutet-Gedachte und Gefühlte in die eigene Überlegung einbeziehen aber keiner alles wirklich konsequent bis zum Ende durchspielt und fertig kommuniziert ... und diese Art der Entscheidungsfindung schließlich beide nicht nur sprichwörtlich im Wald stehen lässt.
Fernab einer Markierung, fernab eines sichtbar weiterverlaufenden Weges. Durch die Beine verbrennende Nesseln und pieksende Disteln. An teils steilen, rutschig-laubigen Berghängen entlang in Sandalen rumschliddernd, in die sich Steinchen, Dreck, Stöcke und Laubwerk schummeln. Über dem Kopf unbezwingbare Felswände, Himmelsrichtung nicht erkennbar. Und nun?
Loslassen! Einfach loslassen! Erstmal den Ärger. Dann die Einbildung zu wissen, was wer, wann und schon sowieso warum überhaupt falsch entschieden, gesagt, gemeint oder gewusst hat. Die Annahme, den anderen in und auswendig zu kennen. Wieder raus aus der misslichen Lage eine durchaus positive Erkenntnis: es gibt noch Neues zu entdecken oder zumindest sollte man in Abständen immer mal wieder bewusst hingucken:
Bekomme ich noch mit, wie der andere tickt oder hab' ich mir schon ein zum Alltag gemütlich passendes Bild zurechtgezimmert von ihm/ihr? Einmal im Jahr z. B. eine Trekkingtour kann - gerade bei Verirrungen vom Wanderweg - möglicherweise zurückführen zur notgedrungen echten und wahrhaftigen Sicht aufs Gegenüber. Wenn es auch zuweilen ein bisschen Zeit und Geduld braucht, bis die eigenen Zahnräder von Gedanken und Sprachgebrauch und die des anderen sich so aneinander zurecht geknirscht haben, bis sie irgendwann wieder ineinandergreifend einen flüssig-fluffigen Lauf zustande bringen.
Langer Philosophiererei und Diskutiererei letztlicher Schluss: nach weiteren leichten Abirrungen, in denen uns auch zwei deutsche Wandersfrauen - ebenfalls verirrt und verwirrt - auf gleichem schlecht markiertem Weg nach Celle di Macra begegnen, es auch noch leicht zu regnen und in der Ferne Gewitterzugrollen beginnt (Regensachen rausgefriemelt, angezogen, Schutz über Rucksäcke gezurrt und schon hört's *schwupps* natürlich wieder auf *narg*), erreichen wir - unangemeldet - schließlich doch den Ortsteil Chiesa mit der Locanda Borgata Chiesa, in der es allerdings keine freien Zimmer mehr gibt.
Der Betreiber und Wirt der Locanda reagiert auf unser unangemeldetes Erscheinen leicht gestresst. Verständlich eigentlich angesichts des Umstandes, dass er nicht nur mehrere kleinere Wandergruppen sondern zusätzlich gleich eine ganze Kölner Schulklasse (14-jährige Schüler einer Waldorfschule) samt Betreuern (insgesamt 27 Personen nur die Schulmannschaft) beherbergen und bewirten muss. Die Locanda wird - soweit ich es sehen konnte - von zwei Personen alleine gewuppt. Die auch zuständig sind für Unterbringungen in Hotel und Posto Tappa.
Wir haben insofern noch Glück, als es im Posto Tappa so reichlich Betten gibt, dass auch wir noch einen ganz eigenen, nur von uns alleine genutzten Raum zugewiesen bekommen. Nicht reichlich vorhanden sind Toiletten und Duschen. Alles - es gibt nur zwei von beidem - wird auch von der Schulklasse genutzt. Was kein Problem wäre ... hätte sich nicht unter den Schülern ein Magen-Darm-Virus ausgebreitet und inzwischen 7 Jungs und Mädels leiden unter massiven Problemen. Da entstehen durchaus Hemmungen und etwas massivere "Waschzwänge" bei Benutzung der sanitären Anlagen ... und ohne geht ja auch nicht ...
Es ist "richtig was los" hier im winzigen Chiesa - nebenan ist ein Ferienheim für italienische Jugendliche, die einen Höllenlärm verbreiten. Die Kölner Jugendlichen sind dagegen supervernünftig und ruhig - sie haben ihren vierten Wandertag hinter sich und - Zitat eines Betreuers auf mein staunendes Bekunden meiner Hochachtung ob dieses Unterfangens, hier mit so einer Horde bepackter Jugendlicher durch die Wildnis zu latschen: "die haben jetzt langsam kapiert, dass das kein lascher Jux ist und sie wandern müssen!"
Sie haben einen alle paar Tage erreichbaren Lieferwagen mit auch Utensilien zur Selbstversorgung dabei, gehen - insgesamt 14 - zwar kürzere Etappen als wir aber auch zu Selbstversorgerhütten, bei denen sie selber kochen. Der Lieferwagen dient nun auch dazu, die inzwischen mit Magen-Darm oder auch Knieproblemen gehandicapten und streckenweise aussetzenden Jugendlichen später nachzuholen ... ich finde dieses Unternehmen - und ich sage es ihnen auch - "mutig". Antwort des begleitenden Elternteils: "So könnte man es nennen, wenn man es unbedingt positiv ausdrücken wollte". *g*
Inzwischen stelle ich fest, dass es soweit ist: ich habe losgelassen von der Vorstellung, wie es hätte sein können. Einsam und alleine in lauschigen Locandas in der noch vorFerien-leeren Bergwelt ... Es ist eine neue Wanderung, neue Erfahrungen wird's geben .. ich bin angekommen im Hier und Jetzt, im streckenweisen Chaos, in vergleichsweise massenhaft vorhandenen Wandergrüppchen und -gruppen. Im klamm-kühlen Posto Tappa mit durchgelegenen Matratzen.
Beim Essen in der Locanda wird es trotz anfänglich angespannter Stimmung bei allen Parteien schließlich gelöst und immer heiterer - die Kids wurden draußen aus Riesenpötten vorher "abgefüttert" mit Nudeln und Tomatensoße + Pudding. Die Restaurantgäste bekommen - und ich rechne es dem Wirtspaar - beide auch gut gelaunt und bereit, die Situation mit Galgenhumor zu meistern - extrem hoch an, dass sie angesichts des Trubels nicht das allerkleinste Downgrade beim fünfgängigen Menu vorgenommen haben. Alles ist total lecker und jeweils liebevoll angerichtet und dekoriert - unerwartet wieder ein Feinkostmenu.
Ich gönne mir - ein Novum auf der GTA aber wie sag' ich so richtig: loslassen, einfach loslassen und neues versuchen! - nach dem Dessert noch einen Genepy für die Bettschwere.
Die streckenweise gereizte Stimmung mit nicht erfüllten Erwartungen, Kommunikationsknirschern, Verirrungen und Wirrungen ist einem fatalistisch-galgenhumorigen "Schaunmermal, wie's weitergeht" gewichen. Frei nach der Kölner tiefenpsychologischen Erkenntnis: "Et is wie et is und et kütt wie et kütt." sind wir bereit, uns neu einzulassen auf das, was die weiteren Trekkingtage uns bringen werden.
Tagesbilanz der nackten Zahlen und Daten (teilweise geschätzt):
Wanderzeit: 9:25 - 16:20 Uhr
Höhenmeter: ca. 1000 ↑ 300↓
Distanz: ca. 15 km
Höchster Punkt: 1.480m
Natürlich sind sie erstmal da: die Erwartungen und Vorstellungen zu dem, was uns erwarten wird. Verbunden mit und entstanden auch aus den Erlebnissen und Erfahrungen des letzten Jahres. Die Neigung des Menschen, das Erinnerungsvermögen einer Sonnenuhr entsprechend funktionieren zu lassen, trägt ein übriges dazu bei. Und zwar dazu, nicht vollkommen frei von vorgefassten Erwartungen und Bildern auf die diesjährige Strecke zu gehen. Sondern natürlich nur das Schöne und Herausragende, das Heitere und Gemütvolle - eben die schönen Stunden in froher Erwartungshaltung auf sich zukommen zu sehen.
Der Morgen verheißt Erfüllung aller Erwartungen. Begrüßt mit vertrauten Bildern von schmucken und verfallenden Häusern, Heiligenbildchen an Hauswänden, sich über die mitgebrachten ALDI-Leckerchen freuende Katzen (nötig hätten sie das nicht gehabt - dieses Jahr begegnen uns weitgehend nur bestens versorgte Tiere. Aber nun sind eben diese Haustierleckereien ins Gepäck gewandert ... ;), Sonne, leckeres Frühstück, eine Küchencrew, die angesichts der beim Bezahlen nochmal eindrücklich vorgebrachten Lobeshymnen freudestrahlend schnell in die Küche sprintet, zwei Stücke Kuchen einwickelt und uns umsonst mit auf den Wanderweg gibt. Prima geht's los.
Zitat des Tages von Volker (stöhnend): "Oh Scheiße, jetzt geht das wieder los mit dieser zwanghaften Fotografiererei!" Ja, aber echt! Ätzend! Bringste nicht fertig, das sein zu lassen.
Ein erstes Wegstück führt entlang der Straße. Vorbei an Kirchlein und den vielen hübschen Brunnen mit klarem frischem Bergwasser, die zum Trinken einzuaden scheinen.
Insekten, die sich am Reichtum der Natur gütlich tun ... wir fühlen uns locker und fluffig und beschließen, uns gleich am ersten Tag nicht an die strikte GTA-Route zu halten sondern - Hey, sind wir inzwischen Profis im Kartenlesen oder sind wir es nicht?! - eine nur geringfügig längere Variante der Variante zu wählen.
Denn das Wanderbuch verspricht auf dem dortigen etwas abseits gelegenen Weg eine Flussüberquerung über eine alte und noch originalgetreu erhaltene Römerbrücke aus Stein. Die hätten wir doch wirklich gerne für die Fotoausbeute mitgenommen und so wandern wir frohgemut die gewundene Talstraße erstmal abwärts. Die paar Höhenmeterchen mehr. PAH! Die können uns doch nix. Der Tag heute soll schließlich ein recht kurzer werden und gerade recht für ein gemächliches Einwandern.
Obwohl wir mit Argusaugen die Straßenseiten nach Hinweisen auf eine Römerbrücke bzw. denWeg dorthin abscannen - oft verschwinden Fluss und Uferbereiche aufgrund die Sicht versperrender Felsen oder scharfer Biegungen für eine Weile aus dem Sichtfeld - sehen wir lange nichts dergleichen. Nicht den Hauch davon.
Irgendwann werden wir misstrauisch, vergleichen gps-Daten auf dem iPad mit der Karte, rätseln, beraten ... erreichen eine Brücke und stellen fest: die Römerbrücke - so sie überhaupt (noch) existiert - hätte mindestens 20 Minuten und ca. 150 Höhenmeter weiter oben sein müssen. Verpasst! Und locker eine zusätzliche Wanderstunde samt einiger Höhenmeter draufgepackt auf die Tagesetappe.
Loslassen! Lass die Vorstellung von dem, was hätte sein können oder was erwartet war, einfach los. Und geh' über diese verdammte blöde Brücke über den Fluss, die an Hässlichkeit kaum zu überbieten ist *grummel*
Kaum rüber über den Fluss windet sich der Weg über allerdings einigermaßen komfortable Waldwege in bewaldeten Berghängen aufwärts. Die Luft ist drückend und schwül, der Schweiß rinnt schnell in Strömen am Körper hinunter, Aussichtspunkte erscheinen spärlich und wenn, dann nur kurz. Es wandert sich zäh. Weit und breit keine Berge und schon gar kein Hochgebirge in Sicht.
Am Wegesrand verfallene Häuser und verlassene Dörfer
Lange Strecken durch waldige Passagen, nur selten eben und erholsam. Irgendwann nicht oder schlecht ausgeschilderte Weggabelungen, ein erneuter Umweg, Suchen nach Zeichen und Kartenübereinstimmung (gps-Tracks haben wir für die ersten drei Tage mit Gehvarianten keine) und die erste Erkenntnis: auch so routinierte Piemont-Kartenlesprofis wie wir sind mitnichten vor Verirrungen gefeit.
Bedeutsamer noch die zweite Erkenntnis: auch zwei im Alltagsleben seit vielen Jahren durchaus harmonierende Menschen können ab und zu aneinander vorbeikommunizieren und damit der sowieso vorhandenen zusätzliche Verwirrungen hinzufügen.
Insbesondere dann, wenn jeder zu wissen glaubt, was der andere denkt, fühlt oder ausdrücken möchte. Womöglich, ohne dass er das auch explizit getan hat. Ein guter Test ist das: "Wie gut kenne ich meinen Partner und wie effektiv kommunizieren wir miteinander."
Denn: in der Zivilisation, in vertrauter Alltagsumgebung ist das noch leicht, da kanns fast jeder ... oder bildet sich zumindest ein, das zu können und zu wissen und zu verstehen. So richtig ernsthaft überprüft wird's da ja selten, wenn keine Konsequenzen drohen bei Schieflage ... aber was, wenn das Gesagte, Gedachte, Gefühlte und vor allem auch das nicht-Gesagte Einfluss darauf hat, wann, in welchen Zustand und ob überhaupt man beim Tagesziel ankommen wird.
Es kann - und ich bezeuge das für den hier geschilderten Tag - auch vorkommen, dass beide Partner - trotz schon leicht gereizter Grundstimmung aufgrund diverser Misslichkeiten, Pannen und Fehlentscheidungen - gegenseitig aufeinander Rücksicht nehmen wollen, dabei das beim anderen vermutet-Gedachte und Gefühlte in die eigene Überlegung einbeziehen aber keiner alles wirklich konsequent bis zum Ende durchspielt und fertig kommuniziert ... und diese Art der Entscheidungsfindung schließlich beide nicht nur sprichwörtlich im Wald stehen lässt.
Fernab einer Markierung, fernab eines sichtbar weiterverlaufenden Weges. Durch die Beine verbrennende Nesseln und pieksende Disteln. An teils steilen, rutschig-laubigen Berghängen entlang in Sandalen rumschliddernd, in die sich Steinchen, Dreck, Stöcke und Laubwerk schummeln. Über dem Kopf unbezwingbare Felswände, Himmelsrichtung nicht erkennbar. Und nun?
Loslassen! Einfach loslassen! Erstmal den Ärger. Dann die Einbildung zu wissen, was wer, wann und schon sowieso warum überhaupt falsch entschieden, gesagt, gemeint oder gewusst hat. Die Annahme, den anderen in und auswendig zu kennen. Wieder raus aus der misslichen Lage eine durchaus positive Erkenntnis: es gibt noch Neues zu entdecken oder zumindest sollte man in Abständen immer mal wieder bewusst hingucken:
Bekomme ich noch mit, wie der andere tickt oder hab' ich mir schon ein zum Alltag gemütlich passendes Bild zurechtgezimmert von ihm/ihr? Einmal im Jahr z. B. eine Trekkingtour kann - gerade bei Verirrungen vom Wanderweg - möglicherweise zurückführen zur notgedrungen echten und wahrhaftigen Sicht aufs Gegenüber. Wenn es auch zuweilen ein bisschen Zeit und Geduld braucht, bis die eigenen Zahnräder von Gedanken und Sprachgebrauch und die des anderen sich so aneinander zurecht geknirscht haben, bis sie irgendwann wieder ineinandergreifend einen flüssig-fluffigen Lauf zustande bringen.
Langer Philosophiererei und Diskutiererei letztlicher Schluss: nach weiteren leichten Abirrungen, in denen uns auch zwei deutsche Wandersfrauen - ebenfalls verirrt und verwirrt - auf gleichem schlecht markiertem Weg nach Celle di Macra begegnen, es auch noch leicht zu regnen und in der Ferne Gewitterzugrollen beginnt (Regensachen rausgefriemelt, angezogen, Schutz über Rucksäcke gezurrt und schon hört's *schwupps* natürlich wieder auf *narg*), erreichen wir - unangemeldet - schließlich doch den Ortsteil Chiesa mit der Locanda Borgata Chiesa, in der es allerdings keine freien Zimmer mehr gibt.
Der Betreiber und Wirt der Locanda reagiert auf unser unangemeldetes Erscheinen leicht gestresst. Verständlich eigentlich angesichts des Umstandes, dass er nicht nur mehrere kleinere Wandergruppen sondern zusätzlich gleich eine ganze Kölner Schulklasse (14-jährige Schüler einer Waldorfschule) samt Betreuern (insgesamt 27 Personen nur die Schulmannschaft) beherbergen und bewirten muss. Die Locanda wird - soweit ich es sehen konnte - von zwei Personen alleine gewuppt. Die auch zuständig sind für Unterbringungen in Hotel und Posto Tappa.
Wir haben insofern noch Glück, als es im Posto Tappa so reichlich Betten gibt, dass auch wir noch einen ganz eigenen, nur von uns alleine genutzten Raum zugewiesen bekommen. Nicht reichlich vorhanden sind Toiletten und Duschen. Alles - es gibt nur zwei von beidem - wird auch von der Schulklasse genutzt. Was kein Problem wäre ... hätte sich nicht unter den Schülern ein Magen-Darm-Virus ausgebreitet und inzwischen 7 Jungs und Mädels leiden unter massiven Problemen. Da entstehen durchaus Hemmungen und etwas massivere "Waschzwänge" bei Benutzung der sanitären Anlagen ... und ohne geht ja auch nicht ...
Es ist "richtig was los" hier im winzigen Chiesa - nebenan ist ein Ferienheim für italienische Jugendliche, die einen Höllenlärm verbreiten. Die Kölner Jugendlichen sind dagegen supervernünftig und ruhig - sie haben ihren vierten Wandertag hinter sich und - Zitat eines Betreuers auf mein staunendes Bekunden meiner Hochachtung ob dieses Unterfangens, hier mit so einer Horde bepackter Jugendlicher durch die Wildnis zu latschen: "die haben jetzt langsam kapiert, dass das kein lascher Jux ist und sie wandern müssen!"
Sie haben einen alle paar Tage erreichbaren Lieferwagen mit auch Utensilien zur Selbstversorgung dabei, gehen - insgesamt 14 - zwar kürzere Etappen als wir aber auch zu Selbstversorgerhütten, bei denen sie selber kochen. Der Lieferwagen dient nun auch dazu, die inzwischen mit Magen-Darm oder auch Knieproblemen gehandicapten und streckenweise aussetzenden Jugendlichen später nachzuholen ... ich finde dieses Unternehmen - und ich sage es ihnen auch - "mutig". Antwort des begleitenden Elternteils: "So könnte man es nennen, wenn man es unbedingt positiv ausdrücken wollte". *g*
Inzwischen stelle ich fest, dass es soweit ist: ich habe losgelassen von der Vorstellung, wie es hätte sein können. Einsam und alleine in lauschigen Locandas in der noch vorFerien-leeren Bergwelt ... Es ist eine neue Wanderung, neue Erfahrungen wird's geben .. ich bin angekommen im Hier und Jetzt, im streckenweisen Chaos, in vergleichsweise massenhaft vorhandenen Wandergrüppchen und -gruppen. Im klamm-kühlen Posto Tappa mit durchgelegenen Matratzen.
Beim Essen in der Locanda wird es trotz anfänglich angespannter Stimmung bei allen Parteien schließlich gelöst und immer heiterer - die Kids wurden draußen aus Riesenpötten vorher "abgefüttert" mit Nudeln und Tomatensoße + Pudding. Die Restaurantgäste bekommen - und ich rechne es dem Wirtspaar - beide auch gut gelaunt und bereit, die Situation mit Galgenhumor zu meistern - extrem hoch an, dass sie angesichts des Trubels nicht das allerkleinste Downgrade beim fünfgängigen Menu vorgenommen haben. Alles ist total lecker und jeweils liebevoll angerichtet und dekoriert - unerwartet wieder ein Feinkostmenu.
Ich gönne mir - ein Novum auf der GTA aber wie sag' ich so richtig: loslassen, einfach loslassen und neues versuchen! - nach dem Dessert noch einen Genepy für die Bettschwere.
Die streckenweise gereizte Stimmung mit nicht erfüllten Erwartungen, Kommunikationsknirschern, Verirrungen und Wirrungen ist einem fatalistisch-galgenhumorigen "Schaunmermal, wie's weitergeht" gewichen. Frei nach der Kölner tiefenpsychologischen Erkenntnis: "Et is wie et is und et kütt wie et kütt." sind wir bereit, uns neu einzulassen auf das, was die weiteren Trekkingtage uns bringen werden.
Tagesbilanz der nackten Zahlen und Daten (teilweise geschätzt):
Wanderzeit: 9:25 - 16:20 Uhr
Höhenmeter: ca. 1000 ↑ 300↓
Distanz: ca. 15 km
Höchster Punkt: 1.480m
7 Kommentare:
Hallo Lizzy,
es ist bei (normalen) Menschen üblich die Vergangenheit im positiven Licht scheinen zu lassen. *g Warst Du das letzte Jahr nicht auch noch die Brombeergestrüppqueen? Wie immer mehr als erbaulich zu lesen und ich habe ein sehr breites Grinsen auf dem Gesicht. Bin gespannt wie es weiter geht. :-)
sam
Hach nee, watt liest sich das gut und bekannt vorkommend. Bei uns hat sich gezeigt- knirscht es im Alltag doch häufiger mit Kommunikationsproblemen und falschen Vorstellungen des Innenleben des Anderen - dass es in Krisensituationen (und eine Verirrung beim Wandern kann für einen verwöhnten Mitteleuropäer schon eine Krise sein) besonders gut klappt.
Die Horden Jugendlicher samt ihrem Magen-Darm-Problem hätten mir Zweckoptimisten aber sicherlich die ein oder andere Träne im Knopfloch beschert. ;-)
Also schon mal mächtigen Dank fürs Mitnehmen und es lebt sich gut nach den Kölner Philosophen.
Sam, auch alle weniger schönen Erlebnisse des letzten Jahres hatte ich natürlich theoretisch noch auf'm Schirm. Zumindest als Hintergrundrauschen. Aber irgendwie geht mensch doch davon aus, das gerade mit dem Wissen aus Erfahrungen nun lenken zu können. Hin zum gänzlich rosaroten. Aber mensch irrt nunmal solang er strebt oder wie wusste das schon Goethe und der war immerhin auch in Italien unterwegs ;)
Anja, vielleicht sollten Paartherapeuten ihre Klientel einfach - statt lange rumzuquatschen - auf eine etwas fordernde Wandertour ins Gebirge schicken oder sowas. Macht man ja mit problematischen Jugendlichen auch gern. Das wäre vermutlich eine Art Ochsentour, bei der sich viele Dinge statt theoretisch gleich praktisch bewältigen lassen :)
Aber ich glaube, die kommenden Folgen werden eher weniger therapeutisch. Wir machen sowas gleich am Anfang in einem Rutsch und gut isses *s*
Schön, dass Du uns an Deiner Wanderreise teilnehmen lässt. Ich habe mir vorgenommen, täglich maximal einen Bericht zu lesen :-)
Dann hab ich länger was davon!
Viele Grüße
Moni
Mehr als max. einen Bericht täglich wird's auch sicher nicht geben und vermutlich (genaueres weiß ich natürlich immer erst sobald ich schreibe ;) werden die wenigsten derartig lang geraten *s*
Hallo GTAler. Ich (Wir) sind die GTA mittlerweile komplett gegangen, und ich habe kaum so eine nette Beschreibeng gelesen wie bei Euch Danke macht Spass zu lesen.
Gruß Heinz-Jürgen
Hallo Heinz-Jürgen,
das Kompliment freut mich :o) Danke! Es lesen hier laut Zugriffsstatistik wirklich sehr viele Leute rein - extrem selten hinterlässt jemand eine Nachricht (was aber ebenfalls völlig ok. ist ;)
Bei uns fehlt noch ziemlich viel an der Komplettierung und es kann sein, dass wir ab der nächsten Tour - die es geben wird - nicht mehr streng dem GTA-Verlauf folgen sondern grob damit verknüpfte Rundum-Wanderungen angehen. Inzwischen plane ich die Strecken, Abschnitte und auch Abweichungen anhand der Karten, die ich vom Gebiet gekauft habe. GTA als Inspiration für Eigenkreationen sozusagen ;)
Was gehst du/geht ihr als nächstes (an)? Gibt's da schon Ideen?
Gruß
Lizzy
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