15 Juni 2018

Schweinereien beim Wutzseelauf ....

.... oder: Irrungen und Wirrungen


den Wutzseelauf als Abschlusslauf für das Länderspiel, in dem noch ein Lauf in Brandenburg fehlte, habe ich mir aus mehreren Gründen ausgesucht:

  • kleine, von Vereinen organisierte und damit meist sehr familiäre Läufe sind mir in der Regel sympathischer als die großen Massenevents
  • eine Schwäche hege ich insbesondere für Seeumrundungen
  • jeder Teilnehmer bekommt eine Medaille
  • Sollte ich diejenigen zehn Dichter, Denker und Schriftsteller nennen, die mein eigenes Denken in jungen Jahren am stärksten prägten, dann würde Theodor Fontane auf jeden Fall dazugehören. Und mit ihm eng verbunden ist nunmal die Mark Brandenburg.

Dass ich mit Muskelkater (es war nicht das erste Mal in meiner Lauf"karriere" der Fall) am Start stand weil in den drei Tagen zuvor ca. 40 Kilometer mit meinem kleinen neuen Rollerchen (Scooter) durch die heiße Mark Brandenburg gerollert und noch einige weitere Kilometerchen auch zu Fuß spaziert, das schrieb ich mir gelassen selber zu, ließ alle Zeitideen fallen und gedachte, am Wutzsee einen hübschen Landschaftslauf-Halbmarathon mit Sightseeinganteil (Schloss Meseberg)  abzujoggen. Zumal die herrschenden Temperaturen von täglich immer über 30°C wenig Lust auf Raserei machten.

Eine Kanone sollte zum Starte schießen, mehrere Versuche misslangen und so setzte sich die zahlenmäßig eher kleine Schar (deutlich unter 100) von Halbmarathonis auf Wortzuruf in Bewegung. Kaum hatten wir das Gelände verlassen, donnerte ein Kanonenschuss hinter den Läufern her, was deutlich hörbare Heiterkeit auslöste. Im hinteren Feld liefen ein Dutzend LäuferInnen im lockeren Verband teils lachend und schwatzend - auch ich war vor dem Start mit einem Berliner Läufer meines Alters ins Gespräch gekommen - auf den Wutzsee zu, in dem das Standbild der für die Liebe erfolgreich aus dem Kloster entflohenen Nonne einen kühleren Aussichtsplatz genießt als wir Läufer.



Bis Kilometer sieben verlief der Lauf, wie solche Läufe eben verlaufen. Erster Kilometer zu schnell (knapp unter sechs Minuten bei mir), ausbremsen, weiterjoggen und im 6:20er-Schnitt weiter bis Kilometer 7, bis wohin noch jeder Kilometer exakt und wunderbar ausgeschildert war. Die Strecke vom Rollern, Spazieren und Baden bereits bekannt, die Wege von Asphalt zu weichem aber wurzeligem Waldboden wechselnd, eine Steigung, Sicht auf Badeplätze, Wald, Wasser, Idylle.



Aber dann! Ein Schild weist eindeutig! in Richtung eines eher nach "halb zugewachsenem Waldarbeiter-Weg" aussehenden Pfades, der vom regulären Spazierpfad abwich (kein Foto stammt vom Lauftag da ich mein Handy nicht dabeihatte).


Es bildet sich ein kleiner zweifelnder Minipulk, wir sehen, dass die LäuferInnen vor uns in diesen Waldweg reingelaufen sind, diskutieren und überlegen zwar aber es siegt der Herdentrieb und alle laufen hinterher. Der Weg wird unwegsamer, die Zweifel stärker, die Vorläufer vor uns deutlich langsamer ... bis sie stehenbleiben und uns signalisieren: wir sind hier alle falsch. Der scheinbare weg endet in dichtem Unterholz, kein Weiterkommen, kein Pfad, kein Nichts. Feuchter werdender Waldboden, brackige Stellen - grauslicher wäre kaum gegangen ...

Kaum stehen wir, fallen Myriaden an Bremsen über uns her und beginnen, unsere Blutgefäße aufzuritzen und uns auszusaugen. Es ist bei heftigster Hitze ein gleichzeitig schwüler Tag. Dass die Gegend noch reichlich Insekten und damit auch Vögel beherbergt, hatte ich in den Tagen zuvor schon erfahren dürfen und mich glücklicherweise heute mit Essig eingerieben. Lange hält dieser eher schwache Schutz zwar nicht, bei diesem heftigen Verlaufer ins Unterholz bleibe ich zu meinem persönlichen Glück aber noch weitgehend verschont und die Bremsenschwärme verdunkeln hauptsächlich Körper und Kleidung der MitläuferInnen. Einige Stiche stecke auch ich ein, einige hatte ich schon vorher. Aber obwohl ich meistens zu den beliebtesten Mückenmahlzeiten zähle, leiden heute die anderen stärker als ich unter der Plage.

Die Gruppe wird größer, von hinten rücken weitere Verläufer nach. Wir bewegen alle zum Umkehren und kämpfen uns zurück durchs unwegsame Gelände auf den eigentlichen Weg. Drehen das Schild in die korrekte Richtung - schon jetzt ahnen wir: hier war Sabotage am Werk.

Es gibt einen Besenfahrradfahrer, der hinter den letzten Läufern langfährt. Er hat gesehen, wie wir das Schild umsteckten und scheint verwirrt bis empört. Ist sich sicher: es KANN nichts falsch gestanden haben. Kennt aber weder die Strecke, die auch er zum ersten Mal abfährt noch hat er einen Offline-Track dabei. Da es hier im Wald keinerlei Empfang gibt, lässt sich das auch von den Handybesitzern nicht nachträglich ändern. Wir sind komplett orientierungslos.

Eine Weile später taucht eine Weggabelung auf. Es stehen nur die ortsüblichen Wegweiser - KEINE Laufstreckenmarkierungen. Wieder wird diskutiert, überlegt, in beide Richtungen laufen einige Läufer um nachzusehen, ob irgendwo noch Schilder kommen. Ein Wegweiser schildert Meseberg aus, wo wir eindeutig hinlaufen müssen. Aber jetzt schon? Oder doch mit Schlenker? Wir wissen es nicht. Als ein Läufer, der die Gegend um Meseberg kennt, einfach dorthin weiterläuft und ich mich im Grunde anschließen wollte, kommt ein anderer vom anderen Weg zurück und verkündet, dass ein Stück weiter die Laufstrecke ausgeschildert wäre und: "DA geht's lang!"

Der Mesebergkenner zweifelt und läuft weiter. Ich schwanke und überlege ... dann siegt wieder der Herdentrieb und ich laufe der größeren Menge hinterher ... was sich - man ahnt es möglicherweise schon - als Fehler erwies. Der Waldweg führt recht steil bergab und man versinkt im feinen Sandboden des trockenen Waldes. Wie am allerbesten Sandstrand und auch an den Wegesrändern ist es nicht besser. Umso begeisterter sind alle, als uns schnellere Läufer aus entgegengesetzter Richtung weil umgedreht entgegenkommen und verkünden: "Alles Quatsch und alles falsch. Die Schilder standen nicht richtig - wir müssen dem Mesebergkenner folgen. Hier verläuft die ca. 15km-Distanz"

Jetzt wird's richtig bunt! Wie weiter? Inzwischen irren wir schon mehr als eine Viertelstunde orientierungslos im Wald herum. Es ist heiß, Mücken plagen, ich habe Durst aber keine Getränke dabei, die erste (von insgesamt nur drei!) Wasser-Verpflegungsstelle stand bei Kilometer fünf und ist schon Geschichte. Ein Teil der Halbmarathonis beschließt, den ohnehin nicht mehr als Halbmarathon zu beendenden Lauf auf die andere Distanz umzuwechseln (bei der die Schilder übrigens auch nicht stimmten - aber hier wurde abgekürzt ;), andere machen sich an den sandigen Anstieg zurück. Ich schwanke. Ginge ich zurück, würde ich vermutlich letzte werden. Alles, was vorher hinter mir lief, hat meines Wissens nach abgebrochen. Ganz sicher bin ich mir aber nicht und wer weiß, ob nicht noch spätere LäuferInnen auch durch den Wald irren.

Trotzdem: ich will Schloß Meseberg sehen, neige bekanntlich zu Sturheit und Trotzreaktionen und laufe nach sandig-steilem Rückaufstieg dem örtlichen Wegweiser Richtung Meseberg nach.

Es folgen Passagen über freies Feld und Wiesen. Dann taucht ab Kilometer Neun die Kilometerausschilderung wieder auf bleibt exakt und genau bis zum Ende. Keine Zweifel mehr gibt es daran, dass hier mutwillige Sabotage am Werk war und irgendwer mit Grün hinter den Ohren sich vermutlich sehr darüber amüsiert(e), die Läufer in die Wüste geschickt zu haben.

Hitze, Durst, alle Körperteile beginnen zu schmerzen. Dann irgendwann endlich ein weiterer Verpflegungsstand mit Wasser und Cola. Alle Ankommenden pausieren, bei einigen die Stimmung explosiv. Selber bin ich auch nicht wirklich gut gelaunt, stelle aber fest, dass meine Psyche vielleicht nicht mehr ganz so stoisch galgenhumorig ist wie sie es noch vor zehn Jahren in ähnlichen Situationen war, vergleichsweise aber noch halbwegs stabil. Zumindest schnauze ich nicht die armen Jugendlichen am Versorgungsstand an, die ja nun selber in der Hitze stehen und nicht Schuld am Dilemma sind. Ich frage sie, wieviele Morddrohungen sie schon einstecken mussten, was sie wenigstens - die Antwort lautete: "Ja, doch schon so einige!" ein bisschen aufheitert.

Selber denke ich an die unzuverlässige Startkanone und beschließe ab hier: "Wenn diese bescheuerte Kanone nachher im Ziel funktioniert, dann gehören die Verantwortlichen damit erschossen!"
Das wird mein Mantra, das ich - mich hört ja niemand, die Strecke wird zunehmend einsamer und fast immer bin ich alleine unterwegs - mehrfach laut vor mich hinsage und auch laut ausfluche: "Erschießen! Die gehören mit ihrer beschissenen Kanone erschossen!"  Es hält mich am Laufen, das Mantra. Immer wenn ich denke, es geht nicht mehr, grummelt ein deftiges: "Erschießen! Alle erschießen!" aus mir hoch und das mitaufsteigende Wuthormon führt irgendwie dazu, dass ich weiterkomme. Sogar noch einige wieder überhole, die vor mir schwächeln und gehen müssen.

Überlege, ob ich mich ihnen wandernd anschließe - Zeit spielt ja nun wirklich keine Rolle mehr. Merke aber, dass es mir besser bekommt, einfach stumpf im Kartoffelhirnmodus alleine weiterzuschlappen. Vier Kilometer vor dem Ziel eine Versorgungsstelle, auf die ich mit heraushängender Zunge kurz vor dem Verdurstungstod hechelnd zulaufe. Einer der beiden jugnen Männer läuft mir entgegen und bereitet mich auf die schlechte Nachricht vor: Wasser ist "schon lange"  alle. Es gibt nur noch Cola. Pisswarme, klebrige Cola. Kein Wasser zum Nachspülen. Ein kleines bisschen besser als zu verdursten ist das. Aber nur geringfügig.

Obwohl wirklich immer kurz vor dem Aufgeben und maximalkaputt verkneife ich es mir, die beiden sehr zerknirschten Männer klugscheißend zu fragen, warum denn nicht jemand entweder Wasser geordert hat oder mit Rad oder Auto - beides steht neben dem Tisch - losgefahren ist um ein paar Flaschen mit Leitungswasser zu füllen. Es sind nicht mehr viele Läufer, die noch kommen - aber für die wiegt ein Becher Wasser momentan fast wie Gold. Beide haben ein Handy und telefonieren auch ständig mit der Orga um zu melden, dass da gerade wieder eine durchgekommen ist. Zu Fuß noch vier Kilometer, auf der Straße wären es weniger ... keine Viertelstunden hätte es gebraucht, um die Problemlage aufzulösen.

Neben meinem Mantra: "Erschießen, alle erschießen!" fällt mir auch Fontane ein und eins meiner liebsten Gedichte von ihm:

Trost 

Tröste dich, die Stunden eilen,
Und was all dich drücken mag,
Auch die schlimmste kann nicht weilen,
Und es kommt ein andrer Tag.

In dem ew'gen Kommen, Schwinden,
Wie der Schmerz liegt auch das Glück,
Und auch heitre Bilder finden
Ihren Weg zu dir zurück.

Harre, hoffe. Nicht vergebens
zählest du der Stunden Schlag:
Wechsel ist das Los des Lebens,
Und - es kommt ein andrer Tag.

 (Theodor Fontane)

Ich laufe mit klebriger Cola und ohne Klugscheißerei weiter, erschieße auch im Ziel niemanden,  erfahre, dass noch einige LäuferInnen fehlen obwohl der Schlussradfahrer längst wieder im Ziel ist (sie tauchen später zum Glück wieder auf - alle haben überlebt: HappyEnd ;) und schlendere nach literweise Getränken und einer Bratwurst vom Grill irgendwann ermattet die gut zwei Kilometer vom Start zu meiner Pension.



Eingebettet war der Lauf in einen wunderbaren und gelungenen Kurzurlaub, in dem alle Pläne und Unternehmungen so gut gelangen, wie der Lauf misslang. Atmosphärisch-stimmungsvolle Pension mit sehr sympathischen Betreibern, wunderbare Eindrücke aus Rheinsberg (Kurt Tucholsky rangiert in meiner persönlichen TopTen-Liste eher noch vor Fontane ;) , Neuruppin und von den Rollertouren um und entlang diverser Seen und durch typisch Brandenburgische Kiefern- und Mischwälder mit oft extrem beeindruckenden Baumexemplaren.




5 Kommentare:

Jörg hat gesagt…

Aber deine Berichte von den richtig schiefgegangenen Läufen sind die lustigsten.
Also keep running.

Volker hat gesagt…

Das Laufleben ist kein Zuckerschlecken, liebe Lizzy, eher ein "Klebrig-süß-warme Cola trinken" :-)))

Es freut mich sehr, dass Du schlußendlich doch niemanden erschossen hast. Irgendwie hätte es doch nicht so ganz zu Dir gepaßt. Auch denke ich, dass die durchaus liebliche, aber auch recht einsame brandenburger Landschaft auf Jahre durch vergitterte Fenster betrachtet, doch ein wenig öde werden würde. Da helfen dann auch kein Fontane und kein Tucholsky mehr :-)))

Schon sehr ärgerlich das ganze. Aber immerhin läßt es sich auf der Halbmarathonstrecke noch irgendwie durchwurschteln, wenn man die Zeit eh knicken kann und man ja auch nicht ans Limit geht. Auf Marathondistanz wäre das schon sehr sehr übel.

Aber schön ist es da schon!

Liebe Grüße
Volker

lizzy hat gesagt…

Guten Morgen ihr beiden: Jörg und Volker :)

freut mich, wenn ich dich unterhalten konnte, Jörg - zu irgendwas ist eben auch ein Desaster immer wieder gut ...

Und dass ich niemanden erschossen habe, Volker, das lag vermutlich eher an mangelndem Werkzeug und fehlender Energie - der Wunsch blieb noch eine Weile vorhanden Aber stimmt schon: so ein Restleben hinter Gittern wäre es auch nicht wert gewesen.

Ich bekomme von Blogspot übrigens seit einer Weile keine Mails mehr, wenn hier jemand geantwortet hat und das ist doof - so überlese ich euch noch :-( Geht das anderen blogger- bzw. Blogspot-Bloggern auch so oder funktioniert die Benachrichtigung? Könnte ja auch an gmx liegen ...

regenfrau hat gesagt…

Liebe Lizzy,
zu deinem Abenteuerurlaub mit Langstreckenlauf habe ich mich ja schon auf fb geäußert. So ausführlich darüber zu lesen, macht das Ausmaß dieses blöden Streiches aber noch mal deutlich. :(

Zu den Kommentaren aber noch ein Wort. Ist bei mir dasselbe - seit der Umstellung mit der neuen Datenschutzverordnung, kommt kein Email mehr bei einem neuen Kommentar. Ich muss, um welche zu erhalten, unter meinem Post den Haken für "Folgekommentare per E-Mall an..." setzen, dann klappt es wieder. :)

lizzy hat gesagt…

Guten Morgen, liebe Doris,
Danke dir für den Tipp :) Inzwischen habe ich auch den Sinn und Nutzen des Menüpunktes „Kommentare“ im Adminbereich von Blogger zu schätzen gelernt :D Da habe ich früher nie hingeklickt und tue das nun eben ab und zu und dort werden ja alle neuen Kommentare auch angezeigt - auch wenn sie auf ältere Beiträge erfolgten.
Eindeutig könnte ich in Sachen Blogpflege und Bloggestaltung einiges dazulernen und nutzen. Aber irgendwie klicke ich immer nur auf „neuen Post“, schreibe, stelle online und passe ab und zu das Hintergrundbild an. Derselbe Zopf seit mehr als zehn Jahren und keine Lust, da was aufzuhübschen .... Dafür müsste ich ja mal länger am Stück stillsitzen und mich konzentrieren ;-)
Ja, das war schon ein kleiner Abenteuerlauf - auch bezgl. der Abendteuer wird mensch mit zunehmendem Alter ja auch bescheidener *s*