19 Juli 2012

geschultert wird - von Susa über Meana di Susa bis zur Alpe Toglie

Sonntag, 1. Juli 2012




Auch wenn das Hotel in Susa nicht wirklich umwerfend war - es war immerhin ein Hotel. Doppelzimmer, Dusche, Frühstück ... die Grundausstattung, an die der Normalurlaubende beim Wort "Urlaub" meistens denkt.

Und wir: lassen die Segnungen der zivilisierteren Welt, Komfort und den Luxus schon sowieso schnöde hinter uns und brechen gegen 8:30 Uhr auf zur ersten Tagesetappe mit Ziel "Alpe Toglie".

Unsere Etappenplanung basiert auf dem erst in diesem Jahr 2012 herausgekommenen Buch "GTA" von Iris Kürschner und Dieter Haas. Die dortigen Etappen bilden fast durchgängig auch die unsrigen, die Etappenbeschreibungen sind größtenteils genau und ausreichend (mit Ausnahmen),  ich habe im Vorfeld die mit dem Buch erhältlichen Tracks aufs iPad geladen, das wir trotz seines nicht unerheblichen Eigengewichts mitschleppen. Es wurde selten benötigt - aber wenn, dann war es Gold wert und eine unglaubliche Zeitersparnis durch sofortige Wegfindung. Super Sache mit diesen Tracks - war mein "erstes Mal" diesbezüglich ;-)

Außerdem schleppen wir drei in der Länge zu durchwandernde topographische Karten mit (eine davon wurde ein einziges Mal zu Rate gezogen - und dringend nötig wäre das nicht gewesen) und auch noch ein weiteres GTA-Buch, den "Klassiker"  zur GTA von Werner Bätzing. Enthält mehr Informationen auch sehr interessanter und spannender Art, ist aber auch schwerer und wird wohl beim nächsten Mal der dringend notwendigen Gewichtsreduktion zum Opfer fallen.

Im Buch war häufig die Rede von "schlechter Wegemarkierung" oder gar gänzlich unmarkierten Stellen und Abzweigen. Offensichtlich wurden aber die Hinweise, die die Autoren im letzten Jahr bei ihrer Komplettbegehung der GTA aufgenommen und an die zuständigen Stellen weitergeleitet haben (versprachen sie im Buch und auch im Vortrag, den wir Anfang des Jahres im Münchner Gasteig besucht haben - quasi als kleiner "Appetizer" ;) , komplett und vorbildlich umgesetzt. Denn: der Weg war spitzenmäßig markiert! Und das gerade und besonders an den im Buch noch als "mangelhaft" genannten Stellen. Viele der Wegemarkierungen waren noch so neu und glänzend frisch, dass wir den "Mann mit dem Farbpott" kurz vor uns wähnten.





Irgendwie merkwürdig fühlt es sich an, auf eigene Faust zu zweit auf diese Tour loszumarschieren. Gespannt bin ich, wie es werden wird. Freue mich auf den ersten Tag.Fürchte mich vor den angekündigten Regenfällen und Gewittern und davor, dass wir uns möglicherweise miteinander langweilen werden. Oder schlimmeres. Weißte ja nicht - wo es doch die am dünnsten besiedeltste Gegend Europas ist, durch die wir wandern möchten. Nix Hüttengaudi, keine Wandergruppe ... nur wir zwei beiden: Volker und ich. Und die Einsamkeit der piemontesischen Alpen.


 Die erste Teiletappe von knapp einer Stunde bis zum nächsten Ort: Meana di Susa, ist allerdings noch nicht allzu verschärft einsam. Außerdem relativ gemütlich: einfache Wege, keine allzu heftige Steigung, nette Häuschen - wenn diese auch noch nicht alle im typischen Waldenserstil mit dicken Steinplatten gedeckt sind sondern teilweise auf "unsre Art" mit Ziegeln. Aber hübsch trotzdem.




 Meana di Susa ist - im Gegensatz zu vielen späteren kleinen Ortschaften, durch die wir in den zwei Wochen kommen - bewohnt. Bei jeder Begegnung freundlich-deutliches "Buon giorno" auf beiden Seiten und neugierige bis abschätzende Blicke von Seiten der Bewohner zu uns. Ganz offensichtlich kommen hier nicht allzu viele Wanderer entlang, das verraten die Reaktionen der uns Betrachtenden.

Für mich immer wieder eine Freude: die vielen Brunnen und Quellen unterwegs. Fast aus jedem und jeder muss ich einige Schlucke trinken und gehe später auch dazu über, nur noch eine Wasserflasche für unterwegs zu füllen. Es gibt fast immer genug Wasser am Weg.

Weniger erfreulich: mein Rucksack ist mit seinen ca. 14 kg verdammt schwer und obwohl er wirklich gut sitzt, fange ich bald an, darunter zu ächzen.



Volker war sparsamer mit seinen Klamotten und schleppt "nur" 12kg durch die Berge. Dabei hat er iPad und Bücher ... irgendwas mach' ich falsch ...

 Hinter Meana di Susa gehen wir über alte Maultierpfade, kleine Straßen und biegen später ab auf einen recht steilen Wanderweg durch den Wald.




Zum ersten Mal wird das iPad ausgepackt und geguckt, wie das mit den Tracks so funktioniert. Hab' ich das schon erwähnt: super Sache das! Alle Tracks total stimmig und genau - außerdem ist es manchmal nett, das GPS-Dingen zu fragen, wieviele Höhenmeter schon geschafft sind.




Heute waren es 1.190 Höhenmeter bergauf - nur wenige bergab. Dann haben wir - nass geschwitzt aber im Schwung des Urlaubsbeginns leidensärmer als befürchtet, die Alpe Toglie erreicht. Wir sind kaum unter dem schützenden Dach, da fängt's an, vom Himmel dicke Troppen zu regnen. Ist okay - jetzt darf das!

Auf der Alpe Toglie werden im Sommer Kühe und Ziegen gehütet, Milch gemolken, Käse hergestellt. Die Familie, die dieses Jahr die Alm bewirtschaftet ist, wenn ich das richtig verstanden habe, zum ersten Mal hier. Das wird der Grund gewesen sein, aus dem alle drei in Büchern gefundenen Telefonnummern nicht funktionierten.

Denn: es wird in Büchern und auch unterwegs in den Quartieren immer dringend angeraten, sich in den Unterkünften anzumelden. Sonst kann es passieren, dass keiner da ist oder es nix zu essen gibt weil keiner mit Gästen gerechnet hat.

Zum Glück hat der Hotelwirt in Susa dann doch noch eine funktionierende Telefonnummer aufgetrieben und wir werden erwartet. Da bis zum Abendessen noch einige Stunden Zeit ist und der Regen bald wieder aufhört, verbringe ich die Zeit zunächst damit, auf einer Bank mit Sicht in die Berge die Atmosphäre der Berge zu atmen. Volker schläft in einem der 12 Etagenbetten im Massenlager, in dem die "Besuchermasse" heute allerdings nur aus uns beiden und einem ebenfalls ruhenden kurz vor uns angekommenen weiteren GTA-Wanderer besteht. Wir sind hier also zu dritt.

Später schaue ich mich noch ein wenig auf der Alm um und es wird mir merkwürdig zumute. Die Menschen sind nett, freundlich und sehr um uns bemüht. Was mich bedrückt: die vielen Tiere sehen allesamt ziemlich ungepflegt aus. Die Kühe genauso wie die vielen Hunde, von denen eine Hündin ein Junges säugt. Sie - die Hundemama, ist genauso wie die anderen Hütehunde eng an eine Kette angebunden, die sich aussen an den Ställen befindet.

Die Hunde werden - wenn sie zum Arbeiten und Treiben benötigt werden - auch losgebunden. Alle sind genau wie alle anderen Hunde, denen wir im Laufe der Wanderung begegnen, sehr freundlich und zutraulich. Dankbar für jede Zuwendung.  Auch diese hier - obwohl sie ganz offensichtlich keine Haus- und Hätschelhunde sind.

Auch eine kleine Katze, sie sieht aus wie ein abgemagertes Katzenbaby, ist zutraulich und schmusebedürftig. Und ausserdem total verfloht und hochträchtig. Wieder ist mir mulmig. Volker überlegt, ob es nicht vielleicht wir sind, die wir mit unseren verhätschelten Luxuskatzen falsche Vorstellungen mitbringen und das Leben der hiesigen Hunde und Katzen im Grunde das "normale" ist. Ich überlege das auch - hoffe aber, dass ich unterwegs nicht sehr vielen solcher - vorsichtig ausgedrückt: suboptimal versorgten - Wesen begegnen werde. Das könnte mir den Spaß an der Sache schon verderben ...

Während ich mit Katze und Hunden schmuse, kommt ein kleiner Junge dazu. Ebenfalls zuwendungsbedürftig. Wir bauen zusammen kleine Steinhäufchen und er quatscht munter drauflos ohne Punkt und Komma. Zwar spreche ich immer noch fast kein Italienisch - aber gewöhnlich verstehe ich ziemlich gut zumindest die groben Inhalte.

Bei diesem ca. vierjährigen Jungen verstehe ich NICHTS und habe auch den Verdacht, dass es nicht verstehbar ist, was er so vor sich hinplappert. Dieser Verdacht wird mir später vom Vater des Jungen - lachend! - bestätigt. Flappsig sagt er, dass der Kleine immer erzählt, ihn aber niemand versteht. Meine Sprachkenntnisse reichen nicht dafür aus, den Mann zu fragen, ob sie z. B. das Gehör des Kindes haben untersuchen lassen. Denn den Verdacht habe ich schnell: er hört nicht gut - kann also auch nicht richtig sprechen. Nicht nur die Tiere - auch die Menschen scheinen suboptimal versorgt. Ein Blick durchs Fenster in die Wohnstuben der Alm offenbaren Messie-ähnliche Zustände (zum Glück und um ein wenig vorzugreifen bewahrheitete sich meine Befürchtung nicht, dass derartiges oft anzutreffen ist unterwegs. Im Gegenteil. Nur hier fand ich dieses ... wie sach' ich das mal diplomatisch ... *räusper*  "bedenkliche Sozialumfeld"? Ganz sicher hat es auch nichts mit dem Land als solchem zu tun oder mit der Bergbevölkerung. Das gibts bekanntlich überall - nur hier in den Bergen schaut vermutlich erst recht niemand genauer hin. An allen anderen Orten unterewgs fanden wir die gesamte Bandbreite aller überall vorkommenden Menschen - darunter also oft auch aussergewöhnlich kreative, gebildete, offene und hilfsbereite  Leute, die auch ihre Tiere - neben Kühen, Schafen und Ziegen gibt es massenhaft Hunde, seltener auch Katzen - vorbildlich versorgten.)



Abendausblick in die Berge  -  so eingetrübt wie der Himmel ist zu dieser Zeit auch meine Stimmung. Nur dass in mir das Leuchten fehlt. Wäre es vielleicht doch besser gewesen, umzudisponieren und z. B. auf Sardinien wandern zu gehen? Oder in der Toskana? Überlegt hatten wir es - weil die Wetterprognose (auch langfristiger) fürs Piemont - untypisch für den Juli, der eigentlich der trockenste Monat dort ist - desaströs war. Ich zweifele an mir - war ja meine Idee, das mit der GTA - am Urlaub, an allem ....

Dass das Essen - eingenommen zu dritt im Vorraum des Biwaklagers - einigermaßen lecker ist (der Wein allerdings war geradezu widerlich - auch das blieb das einzige Mal in den gut zwei Wochen, dass ich das sagen muss ;), die Dusche akzeptabel und auch die Betten samt Decken schlimmer hätten sein können (ein bisschen muffig schon und klamm ist es dort. Dazu duster und es riecht streng nach dem Vieh, das nebenan in den Ställen steht), verhindert nicht, dass sich in mir eine beklemmende Stimmung ausbreitet. "Bitte, bitte, lass das nicht überall so doof sein - dann will ich doch lieber anders Urlaub machen ..."  Nachts scheppern draußen heftige Gewitter mit tosenden Regenfällen. Ich schlafe unruhig.


Tagesbilanz der nackten Zahlen und Daten:

Wanderzeit: 8:35 - 13:40 Uhr  (nur wenige minutenkurze Trink- und iPad-guck-Stops. Keine Rast bzw. längere Pause)
Höhenmeter:   1190 ↑  150↓
Distanz: 13,2 km
getroffene Wanderer: ein Italiener in Gegenrichtung (Tageswanderung vermutlich), in der Alpe 1 Deutscher in gleiche Richtung auf der GTA unterwegs.



8 Kommentare:

Uschi M. hat gesagt…

Ich freu mich auf die Fortsetzung...

:-)

Anonym hat gesagt…

Macht bis jetzt keine Lust dort zu wandern, freu mich auf meinen Maximiliansweg im August umso mehr :-)

lizzy hat gesagt…

Grüß' dich, Uschi. Freut mich, dass du digital ein bisschen mitwanderst ;)

... Auch wenn der Weg (bis jetzt jedenfalls :o) nicht jedem zuzusagen scheint. Aber tatsächlich macht AUCH das ein bisschen das "andere" der GTA aus: sie beinHaltet auch Risiken anderer Art als die viel begangenen und. Strukturreichen typischen Alpenwanderwege in unserer Gegend. Die kaum vorhandene Wander-Infrastruktur, die Einsamkeit, die fehlende Anbindung, selten Handy-, noch seltenere Internetempfang, kaum Orte, selten Alpenvereinshütten und noch seltener Hotels am Weg ... Niemand, der deutsch spricht und nur sehr selten jemand mit meist sehr rudimentären Englischkenntnssen und ohne italienisch (Oder häufigauch französisch) geht hier quasi nix anKommunikation. Das alles sollte man schon auch bewusst wollen, wenn man sich für die GTA entscheidet.

Blödes Wetter kanns aber bekanntlich immer mal haben. Auch im Allgäu auf dem Maximilansweg ;)

matti hat gesagt…

Spannend!!!!!

Gabriele hat gesagt…

Freu mich auch auf die Fortsetzung, träume ja auch schon lange von einer Weitwanderung.

lizzy hat gesagt…

Meine "spannende Weitwanderung" war mit 14 Wandertagen ja dann auch wieder nicht ganz so weit ;) Andererseits glaub' ich, war es die längste Wanderung am Stück. Zeitlich gesehen. Vorher kam ich, wenn ich nix vergesse, nie auf mehr als 12 Wandertage und das ist auch schon Jahrzehnte her.

Babs hat gesagt…

Da du ja ein bisschen vorgegriffen hast: Wenigstens war dieser etwas suboptimale Eindruck einer der ersten und nicht etwa der letzte, den du auf der Wanderung hattest. Aber das Bild mit der Abendstimmung ist traumhaft!

Blumenmond hat gesagt…

Puh, die Beklemmung reicht bis zu mir hinüber. Gut, dass Du schon vorsorgst und man weiß, dass es nicht immer so sein wird. Das Bergfoto ist der HAMMER!!!