04 Mai 2008

So romantisch kann der Arsch wehtun

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Mit dem Rad von München nach Neustadt in Hessen




Sonntag den 27.04.2008 um 8:00 Uhr in München. Der Drahtesel bepackt, das Herz im Fahrradhöschen aber natürlich fest überzeugt, dass die Übung gelingen möge. Die da lautete: von München nach Neustadt/Hessen in 4 - 6 Tagen. Je nachdem. Genaue Kilometerzahlen waren nicht bekannt, da die in den Tagen vorher ausbaldowerte Route diese erstens nicht hergab und zweitens viele "wenns" und "abers" offen blieben. Grob geschätzt würden es ca. 480 - 500 km sein. Dachte ich ... in meinem nur noch restjugendlichen Leichtsinn. Und so kam's dann wirklich:





Neubaustellen schon in München, unnötige Schlenker, Verfahrer und Irrwege ... so dauerte es fast 2 Stunden, bis die Stadt gequert war und ich - auf Höhe der Blutenburg - die Wohnstätte verliess und gen Augsburg weiterradelte.

Auf dem Weg dorthin: Markt mit Jahrmarktsbuden in ganz Fürstenfeldbruck. Massenhaft Publikumsverkehr und gesperrte Innenstadt. Ergo: durchschieben! Dann: schlechte bis fehlende Ausschilderung, ichfassesnichtichverfahrmichdochtotal*heul* ... irgendwann dann der Lech. Aber viel zu weit südlich, falsche Seite erwischt, einmal durch den Siebentischwald geradelt ...




... und nach fast schon 100 Tageskilometern und über 7 Stunden später die Autobahnbrücke bei Augsburg unterquert, die ich mit dem Auto bei freier Straßenlage in ca. 45 Minuten erreicht hätte.

Ein überschwemmter Lech, der den Radweg verschluckte, verlangte den nächsten Schlenker, erforderte Befragung anderer Radler und erbrachte nette Begleitung über ca. 10 km.




Knubbelkirchen über Knubbelkirchen, bayerische Dörfer- und Städteromantik, liebliche Hügel und Täler, Wälder und Fluren ... aber sauanstrengend ist das schon!

Der erste Tag endete nach 146 km in Donauwörth mit Hotelsuche, Hotelbezug (Goldener Hirsch) und ganz arben Krämpfen am inneren linken Oberschenkel.





Steckenweise wurde die Romantik ein wenig geopfert und zu Gunsten günstigerer Strecken etwas mehr Fernverkehr in Kauf genommen.




Unterwegs gab's viele Brücken über viel Wasser zu sehen: Lech, Tauber, Main und Sinn begleiteten mich in vier Tagen über mindestens 75 % der Zeit.






Ab und zu führte der Weg aber auch quer durch Wälder und wasserfreie Landschaften. Meist einsam, manchmal aber auch begleitet von diversen Greifvögeln (nicht immer wohl gesonnen), Rehen, Hasen, blinden Schleichen und was sonst noch so kreucht und fleucht in heimischen Feldern, Wäldern und Fluren ...





Entlang der romantischen Straße hat jede Stadt ihre Stadttore, streckenweise sogar ziemlich viele.




Stadtmauern, mittelalterliches Flair ...






Brunnen, romantische Giebelhäuschen, Fachwerkbauten, Kopfsteinpflaster ...





manchmal fühle ich mich wie in einer riesigen Puppenstube für Touristen. Aber schee isses scho ... Tag 2 der Tour endet - ziemlich durchnässt und mit schmerzendem rechten Knie sowie blasenreichem Sonnenbrand auf den Schultern nach 139 km im Landhaus zum Falken in Tauberzell.




Der Radweg "liebliches-Taubertal" - ist durchgehend asphaltiert, führt tatsächlich durch unglaublich liebliches Gelände ... aber einmal auch unglaublich durchnässend ...







Den größten Teil der Zeit jedoch dominieren blühende Felder, Hecken, Obstbäume und Wiesen.

Der dritte Tag endet nach 151 km und erstaunlich beschwerdearm in mit Zimmerbezug in der sehr günstigen und empfehlenswerten Pension Ullrich in Rieneck.





Der nächste Tag: Mittwoch der 30. April, führt mich entlang des Radweges an der Sinn entlang alter römischer Wege und Brückenstraßen durch nahezu unberührte Feuchtwiesen.





Hier blüht derzeit - eine zufällig getroffene und angesprochene Naturführerin klärt mich darüber auf und auch reichliche Hinweistafeln am Wegesrand - die Schachbrettblume , die natürlich sofort von mir fotografisch festgehalten wird. Vorher nie von ihr gehört oder gelesen, erfahre ich nun, dass sie zu den stark vom Aussterben gefährdeten Blumen gehört, hier ihren europaweit größten noch verbliebenen Lebensraum hat und Natur- und Blumenliebhaber aus ganz Europa teils mit Bussen anreisen, um sie hier blühen zu sehen. Sie sprenkelt die nassen und sauren Wiesen lila, ich hole mir nasse Knie beim Knippsen und radle beglückt weiter.




Und nun - man ahnt es fast nicht angesichts der lieblichen Höhen und Tiefen in der Rhön - naht mein fast-Armageddon.





Die Wege sind fürchterlich schlecht ausgeschildert, es gibt eigentlich nur Radwege, die auf Berge und in dichte Wälder führen. Gedacht für erholungssuchende Touristen auf Sonntags-Nachmittagstour. Aber nicht für Menschen, die tatsächlich in relativ zackiger Zeit von A nach B zu radeln gedenken.


Bergauf, bergab, verirrt und wiedergefunden - keine Radkarten zu kaufen, Landstraßen mit riesigen Umwegen behaftet, die Alternative eine lebensgefährliche Bundestraße - pausenlos durchtost von Schwerlastverkehr - ohne Standstreifen oder gar Radweg ... eine Art Kamikazefahrt quer durch Rhön und Vogelsberg.




Nach einigen Heulanfällen, Verzweiflungsattacken und Sterbenswünschen dann doch: Alsfeld in Hessen. Von hier sind es nur noch 18 km bis "nach Hause". Was mich nicht daran hindert, mich noch einmal zu verfahren. Diese Irrfahrt jedoch führte mich abseits des Weges zur skurrilsten und verrücktesten Begegnung der Tour (es gab mehrere und fast durchgängig positive-Menschen-Begegnungen mit z. T. höchst erzählwürdigen Anekdoten, die aber mündlich besser rüberkommen). Diese eine in Vockenrod alleine - es gibt davon kein Foto und auch die Erzählung käme hier und schriftlich nicht angemessen zur Geltung - war den Verfahrer wert. War eigentlich sogar die ganze Tour wert. Es war komplett schräg, schrill und irre, was mir da in Vockenrod, einem kleinwinzigen Nest im Hessenland, begegnet ist ;o)





Nun galt es nur noch, die Arnshainer Berge hochzuschieben. Zum Fahren fehlte mir inzwischen jede Kraft. Ziemlich bis absolut und komplettement am Ende und innerlich schon gänzlich in anderen Sphären weilend war ich mir nicht sicher, ob der Sonnenuntergang über den Neustädter Wäldern mit Regenbogen und nicht zu überbietender Abendlieblichkeit wirklich so stattfand, oder ob ihn mein mehr als nur ein bisschen plattes Hirn mir nur als lieblich-motivierende Fata-Morgana vorgaukelte.




Und dann um 21:30 Uhr. Das Ziel -> Neustadt in Hessen. Nach weiteren 141 Tageskilometern. Wobei mich hierhin weniger die Sehenswürdigkeiten gelockt hatten als vielmehr der 80ste Geburtstag meiner Mutter.

Tourenbilanz: 577 km in 4 Tagen, viel Schmerz, viel Spaß, viele Erfolgserlebnisse. Reichlich kritische Momente, in denen ich mich und meine Schnapsideen zum Teufel wünschte. Und zum Schluss das tolle Gefühl, es geschafft zu haben.

Es blieben mir 2 Tage völlige Freizeit, dazu geeignet, den schmerzenden Hintern zu befrieden sowie den in den letzten beiden Tagen erstaunlich friedlichen Knochen und sonstigen Körperbestandteilen die Gelegeneheit zu geben, alle Beschwerden nachträglich einzureichen und auszuleben. Sprich: ich hielt mich fein stille, trank mit Mann (der inzwischen ebenfalls mit dem Auto angekommen war - nur dass er nur ca. 4 Stunden für die Strecke gebraucht hatte *pfff* ;-) Brüdern, Schwester und sonstiger Verwandtschaft Bierchen und Weinchen, füllte den Energietank auf, las im lauschigen Sonnenstuhl ein Buch und verkündete inbrünstig: "NIE WIEDER!"

(ein etwas ausführlicherer Fahrbericht findet sich H I ER )

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Was dann aber dann genauso schön war: das 80-er Geburtstagskind, meine Mutter, konnte nicht nur der Restverwandtschaft ihren ersten Urenkel präsentieren, es waren ausserdem alle gekommen: die noch lebenden der vielen Geschwister genauso wie die vier Kinder - von denen ich die jüngste bin - und die 10 Enkel und Enkelinnen mit dem ersten Urenkelchen. Schön war's.

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